Zum Wohl des Kindes etwas voranbringen
Zusammenfassung: Der Standort Haar des kbo-Heckscher-Klinikums nimmt eine besondere Rolle ein: Hier liegt das Zentrum für Autismus und Störungen der sprachlichen und geistigen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter. Dr. Almut von Foerster, seit Januar 2022 leitende Oberärztin des Zentrums, freut sich, diese Leitungsaufgabe übernommen zu haben. Hier zieht sie eine erste Bilanz und berichtet über den Reiz ihrer Arbeit.
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Zum Start ihrer neuen Tätigkeit musste Dr. Almut von Foerster sich erst daran gewöhnen, nach jahrelangem Schwerpunkt auf der Patientenversorgung nun mehr administrative Aufgaben zu erledigen. Mit der Übernahme der Leitungsfunktion schloss sich für sie ein beruflicher Kreis, bereits 2001 hatte sie als Ärztin im Praktikum in der Abteilung für Entwicklungsstörungen begonnen, damals noch in München Solln.
Ab 2005 praktizierte sie in der Abteilung zunächst stationär, dann in der Ambulanz und ist nun seit Januar 2022 erneut dort tätig, jetzt am Standort Haar, der 2019 auf dem Gelände des kbo-Isar-Amper-Klinikums eröffnet wurde.
Personalmangel: Lediglich drei von vier Stationen am Standort sind aktuell in Betrieb
Neben einer Station für Grundschulkinder gibt es noch eine Tagesklinik für Vorschulkinder und eine für Kinder mit geistiger Behinderung am Standort. Da insgesamt vier Stationen zur Verfügung stehen, gäbe es noch räumliche Kapazitäten für eine Tagesklinik oder Station mit dem Schwerpunkt Intelligenzminderung. „Wir spüren eben auch den allgemeinen Fachkräftemangel, insbesondere im Pflege- und Erziehungsdienst. Wir würden diese noch freie Station sehr gerne eröffnen und haben auch konzeptionelle Ideen, um dem Versorgungsauftrag in der Behandlung intelligenzgeminderter Kinder mit psychischen Störungen nachzukommen. Noch fehlt uns hierfür das Personal. Wir sind aber davon überzeugt, neue Kolleginnen und Kollegen für diese spannende Herausforderung gewinnen zu können“, so die leitende Oberärztin zuversichtlich.
„Eine wirklich große Unterstützung im Hinblick auf die Versorgung geistig Behinderter mit psychischen Störungen ist unser mobiler Dienst, der Patientinnen und Patienten vor Ort in ihren Einrichtungen betreut.“
Die häufigsten Diagnosen bei den Patientinnen und Patienten des kbo-Heckscher-Klinikums Haar
Am Zentrum für Autismus und Störungen der sprachlichen und geistigen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter sieht man das komplette Spektrum der kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbilder. Schwerpunkte sind Kinder mit Autismus, ADHS, emotionalen Störungen, Sprachentwicklungsstörungen und Intelligenzminderung. Nicht selten gehen diese einher mit pädiatrischen Krankheitsbildern, zum Beispiel Epilepsien, Fetales Alkoholsyndrom oder auch genetischen Syndromen. Alles Erkrankungen, die die Kinder ein Leben lang zusätzlich belasten.
Dr. Almut von Foerster: „Es gilt daher – wie immer –, eine ausführliche Anamnese zu erheben und eine differenzierte Diagnostik mit einer körperlich-neurologischen Untersuchung, einer psychologischen Untersuchung und eventuell auch einer Sprachuntersuchung durchzuführen, um gut zu sortieren, was bei jedem einzelnen Kind vorliegt und wie wir am besten helfen können.“
In der Ambulanz besteht zusätzlich das Angebot von Spezialsprechstunden für Mutismus und Fetale Alkohol-Spektrum-Störungen. Hinzu kommen Gruppen für Eltern autistischer Kinder und soziale Kompetenzgruppen für die Kinder selbst.
Der Trend zur immer früheren Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen
Dieser Trend zeigt zwar einerseits eine größere Sensibilisierung der Fach- und Laienwelt, birgt andererseits aber die Gefahr, dass zu viele Kinder als autistisch eingestuft werden.
Dr. Almut von Foerster dazu: „Wir sehen in unserer Ambulanz Kinder ab circa zwei bis drei Jahren zur Autismus-Abklärung. Oft ist es auch für uns nicht ganz einfach, uns in diesem Alter diagnostisch festzulegen, vor allem wenn – was nicht selten ist – eben komorbide Störungen mit dabei sind, zum Beispiel eine ausgeprägte Sprachstörung. Wir versuchen dann sehr individuell zu schauen, wie man das Kind fördern kann und bieten regelmäßige Verlaufskontrollen an, wenn möglich beim gleichen Behandler, um eine gute Einschätzung der Entwicklung zu erhalten – um dann eine Autismus-Diagnose zu sichern bzw. auszuschließen.“
Die Elternarbeit ist ein zentraler Punkt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die Eltern der jungen Patientinnen und Patienten haben nicht selten bereits einen längeren Leidensweg hinter sich. Oft haben die Kinder neben ihren Entwicklungsstörungen weitere psychische Erkrankungen und sind damit doppelt gehandicapt. Eltern sind dann häufig von Selbstzweifeln geplagt, etwas falsch gemacht zu haben, oder erfahren Anfeindungen durch ihr Umfeld. Eltern, bei denen selbst psychische Erkrankungen vorliegen, was manchmal der Fall ist, fällt es oft zusätzlich schwer, die teilweise komplexe chronische Erkrankung des Kindes anzunehmen und sie ins Familienleben zu integrieren.
Die Enttäuschung vieler Eltern darüber, dass ihr Kind nicht „normal“ ist, bedarf einer ausführlichen Psychoedukation und eines behutsamen, verständnisvollen und individuellen Vorgehens. „Abgesehen von einer therapeutischen und gegebenenfalls auch medikamentösen Behandlung versuchen wir unter Zuhilfenahme unseres Sozialpädagogischen Fachdienstes und unserer Schule individuell nach Lösungen für das jeweilige Kind und seine Familie zu suchen – ein übliches Vorgehen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“, berichtet Dr. Almut von Foerster und sagt weiter: „Dieses Arbeiten mit den Kindern und Jugendlichen und ihren Familien, um zum Wohl des Kindes etwas voranzubringen, ist genau das, was mich immer an der Kinder- und Jugendpsychiatrie gereizt hat.“
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Standort und der Umgang der Patientinnen und Patienten mit den Hygiene- und Schutzauflagen
Die Corona-Pandemie hatte deutliche Auswirkungen auf den Standort: Ambulante Gruppenangebote mussten ausgesetzt werden und man musste mit kurzfristigen Terminabsagen in der Institutsambulanz umgehen.
Auch die Reduktion von Hausbesuchen oder Besuchen in Heimen erschwerte die Arbeit deutlich. Glücklicherweise konnte der mobile Dienst jedoch während der ganzen Zeit aufrechterhalten werden.
„Die Mitarbeitenden des Pflege- und Erziehungsdienstes und die Fachtherapeutinnen und Fachtherapeuten mussten ihre Arbeit am Kind anpassen und sehr flexibel auf die entsprechenden Corona-Regelungen reagieren. Insbesondere unsere Vorschulkinder, aber auch die intelligenzgeminderten Kinder tun sich schwer mit dem Testen. Die sprachgestörten Kinder haben sehr unter der zwischenzeitlichen Maskenpflicht gelitten“, erzählt die Oberärztin.
„Insgesamt sehen wir Familien, die durch Corona sehr beansprucht waren und auch immer noch sind, da sich durch Home-Office, Schulschließungen und den Wegfall von Freizeitaktivitäten das Familienleben deutlich verändert hat. Die Elterngruppen sind aber wieder gestartet und es wird wieder eine soziale Kompetenzgruppe für autistische Mädchen geben.“
Die Freuden an der Arbeit und der Ausgleich zum Berufsalltag
„Die Arbeit in einem multiprofessionellen Team empfinde ich als sehr bereichernd. Es ist schön zu sehen, wie jede und jeder durch ihr und sein Fachwissen einen Beitrag leistet, den uns ambulant vorgestellten und stationär anvertrauten Kindern und ihren Familien zu helfen. Es erfüllt mich mit Freude, dadurch was voranzubringen“, sagt Dr. Almut von Foerster froh.
Dankende Worte hat sie auch für ihren Vorgänger, Dr. Martin Sobanski: „Ich möchte ihm für seine geleistete Arbeit hier in der Abteilung danken. Am Standort Haar durfte ich ein großartiges, engagiertes Team übernehmen, das mir den Einstieg sehr erleichtert hat. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und die weitere Entwicklung des Standorts Haar.“
Den nötigen Ausgleich findet die leitende Oberärztin beim Walken, beim Lesen und beim Schmieden von Urlaubsplänen mit der Familie.