Neue Ärztliche Direktorin am kbo-Heckscher-Klinikum zieht erstes Resümee
Zusammenfassung: Seit 1. März ist Priv.-Doz. Dr. Katharina Bühren als Ärztliche Direktorin am kbo-Heckscher-Klinikum tätig. Im Interview mit Ruth Alexander zieht sie ein spontanes erstes Resümee ihrer neuen verantwortungsvollen Position. Außerdem geht sie darauf ein, warum ihr das Thema „Behandlung der Magersucht im Kindes- und Jugendalter“, das gleichzeitig ihren klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkt darstellt, besonders am Herzen liegt.
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Ruth Alexander (RA): Frau Dr. Bühren, welches spontane erste Resümee ziehen Sie nach den ersten Monaten in Ihrer neuen Position als Ärztliche Direktorin am kbo-Heckscher-Klinikum?
Katharina Bühren (KB): Meine neue Tätigkeit bereitet mit sehr viel Freude und ist noch vielfältiger als ich es mir vorgestellt habe. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen und ich bin sehr dankbar, dass ein großartiges multiprofessionelles Team an meiner Seite steht, um die Aufgaben erfolgreich zu meistern.
Die Klinik ist nicht nur für die kinder- und jugendpsychiatrische Notfallversorgung für ganz Oberbayern zuständig. Sie kann darüber hinaus mit ihren zehn Standorten in Ambulanzen, Tageskliniken und stationären Einrichtungen, die sich teilweise auf bestimmte Altersbereiche und Störungen spezialisiert haben, unseren jungen Patientinnen und Patienten ein breites Angebot im gesamten therapeutischen Spektrum der Kinder- und Jugendpsychiatrie bieten.
Obwohl ich seit einigen Jahre an verschiedenen Standorten der kbo-Heckscher Klinik tätig war, bringt die jetzige Position die Notwendigkeit mit sich, durchgehend alle Bereiche und die differenzierten Arbeitsweisen noch besser kennen zu lernen. Im Gegenzug bedeutet das für mich persönlich eine große Bereicherung. Eine große Unterstützung erfahre ich auch im Kreis der anderen Ärztlichen Direktoren, Chefärztinnen und Chefärzte der kbo, die mich als einzige Vertreterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie ausgesprochen wohlwollend aufgenommen haben.
RA: In der Politik gibt es für neue Amtsinhaber eine Schonfrist von 100 Tagen. Hatten Sie die auch oder hat das Alltagsgeschäft inklusive Pandemie-Management gleich voll zugeschlagen?
KB: Von einer Schonfrist war nicht viel zu spüren. Anfang März gingen die Infektionszahlen und insbesondere wegen der Quarantänemaßnahmen die Ausfallzeiten der Mitarbeitenden erstmal steil nach oben - und das bei ohnehin chronisch angespannter Personalsituation. Dazu kamen vermehrte Infektionen auch bei stationären Patientinnen und Patienten.
Durch die Versorgungspflicht bestand schon immer einen hoher Belegungsdruck, der häufig über der eigentlich vorgesehenen Kapazität lag. Diese Situation hat sich seit dem vergangenen Herbst noch einmal deutlich zugespitzt. Inzwischen ist es eine tägliche Herausforderung, die wachsende Anzahl an Notfallvorstellungen und -aufnahmen zu bewältigen und die weiterführende kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung bestmöglich zu organisieren.
Für mich ist es in dieser Situation sehr hilfreich, dass ich durch meine bisherige Tätigkeit in der Klinik mit dem klinischen Alltag und seinen Arbeitsabläufen vertraut bin und die Kolleginnen und Kollegen der verschiedenen Bereiche aus der täglichen Zusammenarbeit kenne. Umgekehrt wusste das Team auch, mit wem sie es zu tun haben. Dies ist eine gute Grundlage, um gemeinsam kurzfristig Strategien zur Bewältigung aktueller Herausforderungen und weiterführende Konzepte zur Optimierung der Behandlungsprozesse unter Nutzung aller Ressourcen zu erarbeiten.
RA: Ihr Vorgänger, Prof. Freisleder, hat Ihnen zum Abschied „viel Glück, Mut und vor allem Erfolg beim klugen Ausbalancieren von Bewährtem und Neuem“ gewünscht. Was ist das Bewährte, das Sie in der „Heckscher“ unbedingt erhalten und fördern wollen? Und wo wollen Sie neue Schwerpunkte setzen bzw. Dinge verändern?
KB: Herr Prof. Freisleder hat nicht zuletzt mit der Unterstützung seiner Direktoriumskollegen Herrn Oberbauer und Herrn Neunhoeffer in den letzten 25 Jahren aus einer nach heutiger Sicht eher kleinen Klinik in Schwabing mit einer einzelnen Außenstelle an der Rottmannshöhe quasi eine kinder- und jugendpsychiatrische Versorgungslandschaft auf allen Ebenen mit Dependancen in ganz Oberbayern aufgebaut. Diese regionalen Angebote unter den aktuellen gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen zu erhalten, zu koordinieren und auszubauen ist die große Herausforderung.
Im Hinblick auf die weiter steigenden Patientenzahlen werden zusätzlich dringend neue Therapiekonzepte gebraucht, um die Versorgung im ambulanten Setting und familiären Umfeld auszubauen und zu intensivieren und so die stationären Liegezeiten zu verkürzen. Im speziellen gilt es, die Standorte der „Heckscher“ mit Blick auf diese Entwicklungen zu koordinieren, Schwerpunkte zu entwickeln und Synergien zu heben.
RA: Sie arbeiten seit 2016 am kbo-Heckscher-Klinikum, zunächst in der Ambulanz in Wolfratshausen, seit Anfang 2020 dann als Oberärztin in München-Giesing. Als Ärztliche Direktorin sind Sie nun die Chefin aller zehn oberbayerischen Standorte. Wie werden Sie diesen räumlichen Spagat meistern?
KB: Tatsächlich ist es auf Grund der räumlichen Distanzen mit vielen Standorten nicht möglich, in häufiger Frequenz persönlich vor Ort zu sein. Im Rahmen der Übergabe sind Herr Prof. Freisleder und ich alle Standorte abgefahren mit der Möglichkeit, mich persönlich vorzustellen und mir einen ersten Überblick über die einzelnen Einrichtungen zu verschaffen. Zur Bildung einer regionalen Strukturierung haben wir nun das schon länger diskutierte 4-Klinik-Modell beginnend zum 1. Juni eingeführt. Dadurch wird eine standortnahe Führungsebene mit insgesamt vier leitenden Oberärztinnen implementiert.
Unter den Corona-Bedingungen haben sich die Möglichkeiten zur effektiven Kommunikation über Videokonferenzen hocheffizient weiterentwickelt. Diese möchte ich verstärkt zu regelmäßigen, strukturierten Gesprächen nutzen, im Übrigen auch für Konferenzen unter Beteiligung aller Standorte, z. B. für Fortbildungen.
RA: Als Privatdozentin sind Sie weiterhin aktiv in der Lehre und Forschung tätig und konnten sich erfolgreich an die LMU München umhabilitieren. Ihr klinischer und wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Behandlung der Magersucht im Kindes- und Jugendalter. Warum liegt Ihnen dieses Thema besonders am Herzen?
KB: Als Forschungsschwerpunkt hat sich die Anorexia nervosa für mich ergeben, weil ich meine Facharzt-Weiterbildung an der Uni-Klinik der RWTH Aachen bei Frau Prof. Herpertz-Dahlmann absolviert habe und die Aachener Arbeitsgruppe deutschlandweit als eine der führenden Kliniken in der Erforschung der jugendlichen Magersucht gilt. In Aachen wurden neben dem multifaktoriellen Erklärungsmodell der Essstörungen auch die neurobiologischen Aspekte der Erkrankung sehr betont, was ich in der Akutbehandlung dieser potentiell lebensbedrohlichen Störung als sehr hilfreich erlebt habe.
Die Möglichkeit, diese Erkenntnisse aus der Wissenschaft direkt in der Behandlung umsetzen zu können, hat mich sehr beeindruckt. Schon während meiner Weiterbildung und dann auch als oberärztliche Leitung der offenen Therapiestation mit Schwerpunkt Magersucht hat mich fasziniert, wie effektiv man den schwerkranken Patientinnen helfen kann, wenn man möglichst früh und adäquat behandelt. Aus der großen multizentrischen Studie zur tagesklinischen Behandlung der Magersucht, die wir damals unter Aachener Leitung durchgeführt haben, hat sich auch meine Begeisterung für das teilstationäre Setting als hocheffektive Behandlungsform entwickelt.
RA: Wissenschaftler haben im Rahmen des Kinder- und Jugendreports der „DAK-Gesundheit“ eine signifikante Zunahme der Krankenhaus-Behandlungen von Jugendlichen mit Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie seit Beginn der Pandemie festgestellt: 2020 im Vergleich zu 2019 um neun Prozent, unter den 13- bis 17-Jährigen sogar 13 Prozent. Wie bewerten Sie diese Entwicklung und was ist Ihre Prognose?
KB: Diese Entwicklung muss natürlich sehr beunruhigen. Diese Zahlen spiegeln mit hoher Wahrscheinlichkeit die psychische Belastung der Kinder und Jugendlichen während der Corona-Pandemie wider, auch wenn es hierzu bisher keine abgeschlossenen wissenschaftlichen Studien gibt. Die Patientinnen – es sind ja hauptsächlich Mädchen – berichten jedenfalls, dass bei ihnen in Zeiten der Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen mit Verlust des Tagesrhythmus die verstärkte Kontrolle über Essen und Gewicht eine Ersatzfunktion eingenommen habe.
Damit zeigt sich bei den Essstörungen ein ähnlicher Trend wie bei anderen psychischen Störungen wie beispielsweise bei depressiven Erkrankungen. Kinder und Jugendliche, die vorher schon niederschwellig Schwierigkeiten hatten, sind während der Corona-Pandemie vermehrt unter Druck geraten, was zu einer Verschlechterung und Zuspitzung der vorbestehenden Symptomatik geführt hat. Prinzipiell haben junge Menschen gute Ressourcen und verfügen damit über ein hohes Maß an Resilienz. Um wieder im gesunden Alltag Fuß zu fassen, sind aktuell gemeinsame Bemühungen durch Schulen und Jugendhilfe einerseits und für die gefährdeten und erkrankten Kinder und Jugendlichen durch die Gesundheitsversorgung mit der notwendigen politischen Unterstützung andererseits notwendig.
RA: Das andere aktuelle Thema ist der Ukraine-Krieg und dessen Folgen im Hinblick auf traumatisierte Kinder und Jugendliche. Erwarten Sie hier eine ähnliche Entwicklung für die Kinder- und Jugendpsychiatrien wie bei den Geflüchteten 2015?
KB: Insgesamt stellt sich die Situation anders dar als 2015, da die Kinder und Jugendlichen meist in familienähnlichen Verbünden oft mit den eigenen Müttern nach Deutschland gekommen sind. Zudem scheinen die Ukrainer und Ukrainerinnen untereinander gut vernetzt zu sein und unterstützen sich gegenseitig sehr. Auch die Tatsache, dass viele Flüchtende in Privatunterkünften mit toller Unterstützung untergekommen sind, fördert die Integration und fängt viel ab.
Noch sind bei uns vor allem im stationären Setting nicht viele Kinder und Jugendliche aus der Ukraine angekommen. Im ambulanten Rahmen haben wir allerdings schon etliche Anfragen erhalten, vor allem auch in Bezug auf Patientinnen und Patienten, die in der Ukraine bereits in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung waren. Trotzdem wissen wir nicht, was noch kommt. Häufig entwickeln sich psychische Schwierigkeiten erst dann, wenn man zur Ruhe kommt. Und wir wissen auch nicht, wie viele Flüchtende noch kommen werden, die – je länger der Krieg dauert – immer mehr traumatische Erfahrungen gemacht haben werden.
RA: Sie leben mit Ihrer Familie in Murnau am Staffelsee. Was schätzen Sie besonders an dieser Gegend? Und was hilft Ihnen beim Abschalten vom hektischen Alltag?
KB: Ich bin in Murnau aufgewachsen, daher sind für mich Familie und Freunde vor Ort wichtige Pluspunkte. Eine Radltour mit der Familie am Wochenende, ein Bad in einem der Seen nach Feierabend und Entspannung beim Yoga helfen mir beim Abschalten.
RA: Liebe Frau Dr. Bühren, vielen Dank für das Gespräch!