Langweilig wird es sicher nie: Stabübergabe in der Institutsambulanz im kbo-Heckscher-Klinikum
Zusammenfassung: Oberärztin Dr. Sibylle Lehnerer, die die Institutsambulanz (PIA) geleitet hat, hat zum Jahresende 2021 den Chefinnen-Sessel an Oberärztin Dr. Antje Schmidts abgegeben. Gemeinsam berichten sie von ihrer Arbeit, Veränderungen der PIA über die Jahre hinweg und besondere Herausforderungen in der Corona-Pandemie.
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Ein wichtiger Eckpfeiler im Versorgungsauftrag der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Oberbayern ist die Institutsambulanz am kbo-Heckscher-Klinikum in München. Psychiatrische Institutsambulanzen – kurz PIAs – wurden vor mehr als 30 Jahren in Bayern gegründet, auch im Erwachsenenbereich. Hintergedanke dabei war, dass sehr kranke Patienten nicht in einer Art Dauerschleife stationär aufgenommen werden müssen, sondern instituts-, also krankenhausnah, über einen längeren Zeitraum ambulant versorgt werden können.
„Die Arbeit hier war sehr sehr erfüllend“
Oberärztin Dr. Sibylle Lehnerer, die die Institutsambulanz in der „Heckscher“ seit 2000 geleitet hat, hat zum Jahresende 2021 den Chefinnen-Sessel an Oberärztin Dr. Antje Schmidts abgegeben. Ein guter Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen und gleichzeitig nach vorne zu schauen.
Die geballte psychiatrische Kompetenz ist im Büro von Dr. Schmidts förmlich mit Händen zu greifen: Dr. Lehnerer ist extra aus dem Vorruhestand zum Interview gekommen und beide haben sich eine Stunde Zeit genommen, über das zu sprechen, was ihnen seit vielen Jahren am Herzen liegt: ihre Institutsambulanz, kurz PIA. „Die Arbeit hier war sehr sehr erfüllend“, so bringt es Dr. Lehnerer in einem ersten Resümee auf den Punkt. Wo könne man Menschen schon so effektiv helfen wie hier? Und wo sei man so nah am Puls der Zeit als bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen? Durch den Versorgungsauftrag hat die PIA mit sämtlichen Bevölkerungsschichten zu tun, zu ihnen in die Ambulanz kommen wirklich alle. Das Team besteht aus fünf Ärztinnen, neun Psychologen, zwei Sprachtherapeutinnen und drei Sozialpädagogen. Es waren auch schon mal mehr, aber durch die Öffnung weiterer Standorte bzw. Ambulanzen des kbo-Heckscher-Klinikums in Oberbayern hat sich der Personalmangel verschärft – zeitgleich ist der Bedarf für eine professionelle Versorgung der Patienten in München weiter angestiegen.
"Ambulant vor stationär"
Auch Patientinnen und Patienten haben sich verändert: „Wir sehen seit ein paar Jahren vermehrt weibliche Jugendliche mit komplexen psychiatrischen Störungsbildern wie schweren Depressionen, Ängsten, Psychosen, Zwängen oder Essstörungen“, sagt Dr. Schmidts. Vor allem vormittags widmet sich das Team denen, die sich zum ersten Mal vorstellen, nimmt sich viel Zeit für Untersuchung und Anamnese. Am Nachmittag stehen hauptsächlich Folgetermine an, psychologische Untersuchungen, Therapiegespräche, Fallbesprechungen im multi-professionellen Team. Zehn Stunden sind für die Diagnostik durchaus üblich, um dann zu entscheiden, wie es weitergeht: wird eine stationäre Behandlung empfohlen oder kann die Patientin zu einem niedergelassenen Arzt oder Therapeuten überwiesen werden? Die Prämisse ist dabei immer „ambulant vor stationär“. „Grundsätzlich ist die ambulante Behandlung die Therapie der Wahl für unsere jungen Patienten. Denn hier gelingt der Transfer der Therapieerfolge oft leichter, es können Trennungstraumata vermieden werden. Auch wird die Behandlung als weniger stigmatisierend empfunden“, fasst Dr. Lehnerer zusammen. Die PIA also ein niedrigschwelliges und zeitnahes Angebot für komplexe Fälle.
Bestand in den 90er Jahren ein hoher Bedarf an Diagnostik und Basisversorgung mangels niedergelassener Kinder- und Jugendpsychiater, hat sich heute der Schwerpunkt in Richtung Notfall- und Krisenpatienten verlagert. „Wir müssen viel schneller handeln und den Kindern und Jugendlichen in der Ambulanz sehr viel häufiger kurzfristige Krisentermine anbieten bzw. prä- und poststationäre Behandlungsmöglichkeiten“, so Dr. Lehnerer. Beide Ärztinnen stellen einmütig fest, dass die Störungsbilder gravierender geworden und die familiären Ressourcen leider oft begrenzt sind. „Wir kämpfen mit unserem schlechten Gewissen, weil die schnelle Unterstützung, die oft nötig wäre, nicht immer optimal leistbar ist. Es fehlt uns an Assistenzärzten“ resümiert Dr. Schmidts die derzeitige Situation. Froh ist sie deshalb, dass sie sich auf ihr sehr erfahrenes Team von Mitarbeitenden verlassen kann, das schon viele Jahre mit Hand und Herz dabei ist. Deren Expertise bereichere die diagnostische und therapeutische Arbeit enorm. Auch die Spezialsprechstunden für Zwangsstörungen und für seelische Traumata seien dadurch von hoher Qualität, was sich auch schon herumgesprochen habe.
Die PIA in Zeiten der Pandemie
Die Pandemie hat der ohnehin schwierigen Ausgangslage in der Kinder- und Jugendpsychiatrie noch eins draufgesetzt, auch und gerade im ambulanten Bereich, finden die beiden Ärztinnen. Wurden anfangs vor allem Termine oder Gruppen aufgrund von Krankheit oder Quarantäne abgesagt und war der Gesprächsbedarf im Team enorm, so hat sich mittlerweile eine gewisse Routine im alltäglichen Umgang mit der Pandemie eingestellt. Was allerdings beide Ärztinnen als Riesenproblem benennen, ist die lange Schul-Abstinenz der Kinder und Jugendlichen. „Manche sind nicht mitgekommen im Home-Schooling, andere haben ihren Rechner erst gar nicht hochgefahren. Und als der Präsenzunterricht wieder losging, hat es einige komplett rausgekickt, sei es, weil sie noch im Urlaubsmodus waren oder weil die alten Schulängste wieder hochkamen. Ganz abgesehen von der riesigen Lernlücke, die sich aufgetan hat“, fasst Dr. Schmidts zusammen. Ein kleiner Lichtblick in der Arbeit war die Einführung der Videosprechstunde über ein kbo-Portal, die dankend angenommen wurde und wird. „Das war auch deshalb wichtig, weil die Jugendlichen die Therapie einfordern. Sie wollen nicht nur diagnostiziert werden, sondern auch behandelt.“ Ein eindeutiger Auftrag, dem die neue Leiterin der Ambulanz Dr. Schmidts und ihr Team gerecht werden will. Und eines gibt Dr. Lehnerer ihr noch mit auf den Weg: dass sie neben der stressigen Arbeit mit den Patienten auch die beglückenden, spannenden und menschlichen Aspekte ihrer Arbeit nie vergessen möge.
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