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Reittherapie bei psychischen Erkrankungen

Die Reittherapie oder wie die Therapie mit Pferden Menschen mit psychischer Erkrankung helfen kann

Zusammenfassung: Seit 35 Jahren wird am kbo-Isar-Amper-Klinikum die Gruppenpsychotherapie mit Pferden angeboten. Vanessa März, Reitpädagogin und Reitlehrerin, und Lisa Axenbeck, Psychologin, bilden zusammen mit ihren tierischen Kollegen, einem 4-jährigen Württemberger Wallach, einer 12-jährigen Westfalen-Stute und einer 15-jährigen Warmblut-Stute, das Reittherapie-Team. Die Therapie mit Pferden vermag Menschen mit psychischer Erkrankung auf besondere Art und Weise zu helfen.

Von Kathrin Bethke am

Themen:

Reittherapie gibt es in den verschiedensten Formen. Meist so gestaltet, dass ein Therapeut, ein Patient und ein Pferd zusammenarbeiten. Das Besondere an der Reittherapie des kbo-Isar-Amper-Klinikums ist das Gruppen-Setting, in dem die Therapie-Einheiten stattfinden. Eine Gruppe besteht aus bis zu acht Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen Diagnosen, zwei Therapeutinnen und drei Therapiepferden.

Einige Patienten nehmen regelmäßig und häufiger teil, andere kommen nur ein oder zwei Mal. Deshalb ist jede Therapie-Einheit bei Vanessa März und Lisa Axenbeck ein abgeschlossener Prozess, sodass die Patienten auch nur von einer einzelnen Sitzung profitieren können.

 

Zielsetzung bei der Reittherapie

Den Rahmen der gesamten Therapie-Einheit bildet die Befreiung der Patienten von selbsterdachten Pflichten und eigens kreiertem Leistungsdruck mit dem Ziel, ein Gefühl der Entlastung zu erreichen. Alles, was die Patientinnen und Patienten bei und mit den Pferden erleben, beruht auf Freiwilligkeit und fördert so die Selbstachtsamkeit.

 

Ablauf einer Gruppentherapie-Einheit mit Pferden

Bereits die Fahrt zum Pferdestall stellt für die Patientinnen und Patienten eine Abwechslung zum Klinikalltag dar. Für viele von ihnen ist diese auf Grund der häufig vorhandenen Angststörungen bereits eine Herausforderung, die es für sie zu bewältigen gilt.

Im Vorgespräch formulieren die Patienten ihre individuellen Therapieziele und suchen sich ein Therapiepferd aus, mit dem sie am jeweiligen Tag an ihren Themen arbeiten möchten.

Um den Erstkontakt zu den Pferden positiv zu gestalten, regen die beiden Reittherapeutinnen einen Perspektivwechsel an. Beispielsweise fördert das Verständnis dafür, den Pferden bei der Begrüßung nicht übers Gesicht zu streicheln, das Empathie- und die Identifikationsvermögen der Patienten. Man selbst möchte schließlich auch nicht von Fremden im Gesicht angefasst werden.

Auch die Pflege der Pferde ist ein Teil der Reittherapie-Einheit. Diese fördert die Kontakt­aufnahme zu den Tieren und auch zur Gruppe. Die natürlichen Reaktionen und individuellen Eigenheiten der Vierbeiner werden hierbei deutlich und von den Pferde-Kennerinnen Vanessa März und Lisa Axenbeck für die Patienten übersetzt.

Zum Ablauf der Therapie-Einheit gehört auch das Beobachten einzelner freilaufender Pferde aus der Distanz und das damit einhergehende Kennen- und Unterscheiden-Lernen der äußerlichen und charakterlichen Eigenschaften.

Pferde brauchen eine klare Führung und Kommunikation, um kooperativ mitzuarbeiten. Das Führen verhilft vielen Patienten zu mehr Sicherheit und fördert den Beziehungsaufbau zum Pferd. Das Tier nimmt die Körpersprache wahr und spiegelt den Patienten eigene Anteile unmittelbar wider. Je mehr man sich beispielsweise selbst entspannt, desto entspannter wird auch das Pferd. Umgekehrt kann ein entspanntes Pferd einem unruhigen menschlichen Geist auch als Vorbild dienen.

Zwischendurch wird immer wieder dazu angeregt, innezuhalten und die aktuellen Emotionen bewusst wahrzunehmen und zu benennen. Auf Basis dieser Momentaufnahmen wird der weitere Therapie-Verlauf entsprechend angepasst.

Ebenfalls besteht für die Patienten die Möglichkeit, zu reiten. Beim geführten Reiten geht es darum, Kontrolle abgeben zu können, loszulassen und zu vertrauen. Beim Reiten ohne Sattel können die Patientinnen und Patienten die Wärme und Bewegungen intensiv spüren. Beim Traben überträgt sich der Schwung und die Energie der Pferde auf die Reiter und das Selbstbewusstsein wird gestärkt.

„Als Abschluss des Reitens haben die Patienten die Möglichkeit, sich auf den Pferderücken zu legen“, berichtet Lisa Axenbeck. „Sie können dabei die Atmung des Pferdes wahrnehmen und zur Ruhe kommen. Der enge Körperkontakt zum Pferd löst dabei häufig eine emotionale Öffnung aus und wird als sehr intensiv wahrgenommen.“

Beim Nachgespräch zum Abschluss der Therapie-Einheit wird das Erlebte geordnet und gedeutet. Hier wird besonders auf eine Ressourcen-orientierte Haltung geachtet, die eine vertrauensvolle Öffnung ermöglicht. Neben der Möglichkeit, ein offenes, strukturiertes Gespräch in der Gruppe zu führen, drücken die Patienten auch hin und wieder ihre Erfahrungen und Emotionen in gemalten Bildern aus.

„Häufig geraten die Glaubenssätze der Patienten durch die Reaktionen und das Spiegeln der Pferde durcheinander“, stellt die Psychologin fest. „Durch die Deutung und Ordnung des Erlebten wird das ‚Alte‘ und das ‚Neue‘ wieder angenähert. Das heißt, es wird nicht das ‚Widersprüchliche‘, sondern das ‚Ergänzende‘ betont.“

 

Die Wirkung der Therapie mit Pferden auf Patienten

„Viele Patientinnen, egal mit welcher Diagnose, bringen die unterschiedlichsten Arten von Angstmit. Beim ersten Mal sind der Reitstall, der Gruppenraum, die Therapeuten und das, was auf sie zukommt, einschließlich der Pferde, komplett neu und dadurch können die Ängste zusätzlich verstärkt werden. Den Abbau dieser allgemeinen Unsicherheit erreichen wir durch viel vorgegebene Struktur und einen sicheren Rahmen“, erklärt Vanessa März.

Zusätzliche Angst lösen bei den Patientinnen und Patienten häufig auch die großen Pferde aus. Die Therapie unterstützt sie dann dabei, einen Realitätscheck durchzuführen, um gesunde Ängste von katastrophisierenden Gedanken unterscheiden zu lernen. Wenn sie erkennen, dass keine akute Gefahr besteht, sind die Patienten in der Lage, ihre Ängste weiterzuschicken.

Ein wichtiger Aspekt bei der Therapie ist es, die Bedürfnisse der Pferde ernst zu nehmen, denn deren Reaktionen auf die Patienten spiegeln wider, was gerade im Kontakt passiert. „Wenn die Situation für die Pferde zu schwierig wird, geben wir ihnen erstmal wieder Sicherheit und Vertrauen. Danach geht es darum, den Patienten nahe zu bringen, warum das Pferd so reagiert hat. Wir finden dann neue Wege, die Situation für das Pferd angenehmer zu gestalten und mit ihm wieder in einen positiven Kontakt zu kommen“, erklärt Lisa Axenbeck.  

Unter Anleitung kann ein Patient das Pferd selbst beruhigen. So ein Erfolgserlebnis fördert ein besseres Verständnis für das Tier und lehrt auch, die Grenzen des Gegenübers zu akzeptieren. Hier kann ein guter Transfer in den Alltag bei schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen angeregt werden. Die Patienten lernen, sich selbst besser wahrzunehmen, Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Sie entwickeln Empathie für die Situation des Pferdes und erfahren dadurch Selbstwirksamkeit.

Für die Arbeit mit den Pferden ist eine klare Kommunikation notwendig, genau wie im familiären oder beruflichen Kontext. Die Patienten lernen mit dem Pferd, Grenzen zu setzen und Grenzen zu akzeptieren, ohne dass die Beziehung dabei Schaden nimmt oder Schuldgefühle auftreten. In schwierigen Situationen, die im Umgang mit Pferden immer wieder auftreten können, üben die Patienten handlungsfähig zu bleiben, sich Herausforderungen zu stellen und sich etwas zuzutrauen.

 

Die Vorteile einer Gruppentherapie

Die Patienten arbeiten in Kleingruppen zusammen, wechseln sich ab, unterstützen sich und geben sich gegenseitig Hilfestellung. Erfahrenere Gruppenmitglieder können den neuen vieles erklären und zeigen. Es können ungewohnte Verhaltensweisen erprobt werden, zum Beispiel das Anleiten der Kleingruppe. Dafür erhalten die Patientinnen und Patienten oft positive Rückmeldung, was dabei helfen kann, die Kompetenzen in den Alltag zu integrieren. Hierin liegt das Lernpotenzial, sich selbst realistisch einzuschätzen und Handlungskompetenz zu entwickeln.

„Es kann davon ausgegangen werden, dass das Verhalten im gruppentherapeutischen Setting das zwischenmenschliche Verhalten außerhalb der Gruppe widerspiegelt“, sagt Vanessa März. „Wenn Patientinnen das Hier und Jetzt ‚nur‘ erleben, wird das zwar als intensiv und aufregend wahrgenommen, der Lerneffekt ist aber eher gering und dadurch fällt dann auch der Transfer auf Alltagssituationen schwer. Deshalb ist neben der Erlebnisebene die Verständnisebene sehr wichtig. Im Nachgespräch in der Gruppe wird das Erlebte deshalb gemeinsam reflektiert und ein Transfer auf die Bewältigung von Alltagsproblemen hergestellt“, so die Reitpädagogin.