Es geht darum, Klientinnen und Klienten zu ermächtigen, Selbstverantwortung für sich zu übernehmen
Zusammenfassung: Der kbo-Ambulante Psychiatrische Pflegedienst (kurz: kbo-APP) wurde 2011 mit dem Ziel ins Leben gerufen, ein Pflegeangebot zu schaffen, das es Patientinnen und Patienten ermöglicht, in ihrem eigenen Zuhause pflegerisch-psychiatrisch versorgt zu werden. Unter Einbezug der Angehörigen und dem persönlichen Umfeld gemeinsam das Krankheitsgeschehen zu bewältigen und die Funktion des Alltags so weit wie möglich aufrechtzuerhalten bzw. wiederzuerlangen, darauf liegt das Hauptaugenmerk. Anette Hill ist als Pflegefachfrau beim kbo-APP tätig und erzählt im Interview von ihrem Arbeitsalltag.
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Wie sieht ein typischer Arbeitstag beim kbo-Ambulanten Psychiatrischen Pflegedienst aus?
Mein Tag beginnt damit, dass ich zuerst mit meinem Dienstwagen vom Standort Zamdorfer Straße zu meiner ersten Klientin bzw. ersten Klienten fahre. Pro Tag habe ich zwei bis fünf Klienten-Kontakte, von denen einer, je nach Bedarf, zwischen 1 und 3 Stunden, dauert. Wir begleiten unsere Klientinnen und Klienten ca. 4 Monate. Ziel ist die Wiedererlangung größtmöglicher Selbstständigkeit.
Mein Arbeitsfeld und die Klienten-Kontakte sind sehr vielfältig. Im Vordergrund steht immer der Beziehungsaufbau, dann stützende Gespräche. Für viele Betroffene ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Diagnose ein schwieriges Thema, deswegen ist es sehr wichtig, ihnen und ihren Angehörigen den vorliegenden medizinisch-wissenschaftlich formulierten Befund so zu erklären, dass er auch wirklich gut verstanden wird. Man nennt das Psychoedukation.
Auch Medikamenten-Training, also das Erlernen, die eigene Medikation selbst zu stellen und zuverlässig einzunehmen, gehört zu meinen Aufgaben. Das stärkt auch die Selbstverantwortung und -fürsorge der Klientinnen und Klienten.
Außerdem begleite ich sie zu Ärzten oder wir machen gemeinsam Behördengänge. Ihre sozialen Kompetenzen und die Alltagsbewältigung stärken wir beispielsweise beim gemeinsamen Einkaufen oder Expositionstraining in Form von Spaziergängen oder S-Bahn-Training. Hier fließt bei der Gestaltung sehr viel eigene Kreativität mit ein.
Wie groß ist das Team beim kbo-APP? Welche Berufsgruppen sind vertreten, und wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Das ist bei uns ganz einfach, es gibt nur eine Berufsgruppe – die Pflege. Derzeit besteht unser Team aus rd. 15 Pflegekräften ohne und mit Fachweiterbildung, aber alle mit Psychiatrieerfahrung. Wir suchen aktuell weitere neue Kolleginnen und Kollegen, da der Bedarf in der ambulanten psychiatrischen Pflege in München sehr groß ist.
Im kbo-APP sind wir in drei Regional-Teams Ost (zum Teil mit Landkreis München Ost), Nord und West-Süd unterteilt. Ich selber arbeite Osten. Einmal im Monat treffen wir uns im Regional-Team zur Organisation und Absprache, z.B. Vertretungsübergabe bei Urlaub. Im großen Team treffen wir uns ebenfalls circa alle vier Wochen entweder zur Teambesprechung oder zur Supervision.
Supervision finde ich sehr wichtig, weil wir hier unter anderem Fallbesprechungen durchführen können. Generell kann ich mich bei Fragen jederzeit an die Pflegedienstleitungen oder an alle kbo-APP-Kolleginnen und -Kollegen wenden. Wir haben ein sehr gutes Miteinander.
In der Pflege kann man in verschiedensten Bereichen arbeiten – warum haben Sie sich für die Arbeit beim kbo-APP entschieden?
Ich mag es sehr, Klientinnen und Klienten in ihrem Zuhause zu besuchen. Die Beziehungsarbeit hat einen anderen, individuelleren Charakter als bei einer stationären Behandlung. Es geht hier um eine eigenständige Gestaltung der psychiatrischen Pflege in Absprache mit den Klienten und den anderen Behandlern, z.B. des Psychiaters, zum Wohl der Klienten. Und nicht zu vergessen die verschiedensten psychiatrischen Krankheitsbilder bei Menschen unterschiedlichen Alters machen die Arbeit sehr abwechslungsreich. Ich bleibe ständig in einem Lernprozess.
Wo liegen die Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?
Neben dem Beziehungsaufbau bei einer Laufzeit von vier Monaten, muss man auch das Beziehungsende rechtzeitig im Blick haben und einleiten. Abgrenzung ist stets ein herausforderndes Thema, d.h. Nähe und Distanz in Waage halten zu können, denn wir sind Gäste in den Wohnungen unserer Klienten.
Manchmal ist es herausfordernd, die Verantwortung für den Klienten zu übernehmen, sollte dieser selbst nicht mehr in der Lage sein, zu seinem gesundheitlichen Wohle entscheiden zu können. Die Gefahr einer ambulanten Hospitalisierung besteht vor allem dann, wenn Klienten zu wenig ermächtig werden, wieder Verantwortung für sich zu übernehmen. Auch dies ist ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit.
Was schätzen Sie besonders an Ihrer Arbeit?
Zuallererst schätze ich, dass ich keinen Schichtdienst habe und keine Arbeit an Wochenenden oder Feiertagen. Außerdem haben wir ein tolles Kollegen-Team.
Ich gestalte meine Tourenplanung selbst und meine Arbeit mit den Klienten zusammen. Und was ich auch mag, ist, dass ich dank mobiler Endgeräte meine Dokumentation auch gut von zu Hause aus oder unterwegs beim Klienten erledigen kann. Durch die Anwendung von Textbausteinen in unserem wirklich sehr anwenderfreundlichen Dokumentationssystem ist die Pflegeplanung schnell zu erstellen.
Und was ich, wie schon erwähnt, auch sehr schätze, ist die Beziehungsarbeit und damit einen wichtigen Beitrag zur guten Versorgung psychisch kranker Menschen leiste.