„Die Vernunft weiß, ‘das ist nicht echt’, aber die Emotionen reagieren trotzdem.“
Zusammenfassung: Dr. Julia Diemer, Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin, erforscht am kbo-Inn-Salzach-Klinikum den Einsatz von Virtual Reality (VR) in der Psychotherapie im Bereich Angststörungen. Normalerweise ist diese Form der Psychotherapie sehr aufwändig, da die Angstsituationen aufgesucht werden müssen. Hier bietet VR eine bequeme Alternative quasi im Behandlungszimmer. Dr. Julia Diemer berichtet von ihren Erkenntnissen.
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Frau Dr. Diemer, seit wann wird VR am kbo-Inn-Salzach-Klinikum eingesetzt, und wie kamen Sie zum Thema VR & Psychotherapie?
Dr. Julia Diemer (JD): Wir forschen am kbo-Inn-Salzach-Klinikum seit 2016 zu VR in der Psychotherapie, im Bereich der Fahrsimulation schon deutlich länger. Ich selbst habe VR seit 2008 im Rahmen meiner Doktorarbeit genutzt. Mein Interesse kommt dabei in erster Linie aus dem Bereich der Angststörungen. Angststörungen lassen sich sehr gut mit Exposition behandeln. Das heißt, die Patientinnen und Patienten machen unter therapeutischer Anleitung die Erfahrung, dass sie ihre Angst aushalten können, und dass die gefürchteten Situationen gar nicht so gefährlich sind. Diese Therapiemethode ist für Therapeutinnen und Therapeuten sehr aufwändig und wird daher im Alltag viel zu wenig eingesetzt. VR könnte das grundlegend ändern.
Welche Erkenntnisse konnten Sie bisher gewinnen?
JD: Wir haben unter anderem herausgefunden, dass VR, obwohl die Patientinnen und Patienten die virtuellen Szenarien natürlich sofort als Computersimulation erkennen, dennoch eine umfassende emotionale Aktivierung auslösen kann. Die Vernunft weiß, „das ist nicht echt“, aber die Emotionen reagieren trotzdem. Deshalb kann man VR ja auch so gut therapeutisch einsetzen.
Wo bzw. wie sehen Sie die Zukunft von VR im therapeutischen Einsatz?
JD: Ich stelle mir vor, dass VR in Zukunft selbstverständlich eingesetzt wird. Dass man als Therapeutin oder Therapeut zum Beispiel sagt: „Als Hausaufgabe üben Sie das noch einmal in der VR, so wie heute in der Sitzung.“ Und danach überträgt man das Gelernte in die Realsituation. In der Klinik wäre es prima, wenn wir verschiedene therapeutische VR-Übungen individuell und ganz nach Bedarf einsetzen könnten. Ich bin optimistisch, dass wir dahinkommen!
Was ist Virtual Reality (VR)?
VR ist ein computergeneriertes Medium, um bestimmte Inhalte, sogenannte VR-Szenarien oder virtuelle Welten, zu zeigen. Dabei trägt der Nutzer in der Regel ein Head-Mounted-Display (HMD), oft auch „Cyberbrille“ oder „VR-Brille“ genannt. Dieses ist ein Set aus zwei Bildschirmen, die nah an den Augen getragen werden. Die spezielle Konstruktion des HMD sorgt dafür, dass der Nutzer kaum oder gar nichts mehr außerhalb des VR-Szenarios sieht und so in die virtuelle Welt eintaucht. Dazu kommen Kopfhörer und ein sogenanntes „Tracking“-System. Letzteres ermöglicht es dem Computer, das VR-Szenario an die Blickrichtung (Kopfrichtung) des Nutzers anzupassen. Das geht so schnell, dass man davon nichts mitbekommt. Es entsteht ein fließender Raumeindruck wie in der Realität. Durch diese Eigenschaften entsteht eine starke Illusion, in dem virtuellen Raum anwesend zu sein – viel stärker, als wenn man beispielsweise einen Film anschaut. Außerdem ist VR interaktiv: der Nutzer selbst kann bestimmen, welchen Teil des VR-Szenarios er betrachten und erkunden möchte. Die meisten VR-Systeme beinhalten die Möglichkeit, sich durch die VR-Welt zu bewegen.
VR am kbo-Inn-Salzach-Klinikum
Seit 2016 wird am kbo-Inn-Salzach-Klinikum zu VR geforscht. Von 2016 bis 2019 gab es bereits ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt, das sich mit den technischen Voraussetzungen für den Einsatz von VR im Therapiealltag beschäftigte, insbesondere im Bereich der Angststörungen.