„Das kann kein Psychiater alleine schaffen“ – Arbeiten in einer Clearingeinrichtung
Zusammenfassung:
Yvonne Tesch und Lena Kordick vom kbo-Sozialpsychiatrischen Zentrum berichten über ihre Arbeit als Fachpflegekräfte für Psychiatrie in einer Münchener Clearingeinrichtung.
Die Clearingeinrichtung Implerstraße startete im März 2016 als gemeinsames Projekt der Landeshauptstadt München und des kbo-Sozialpsychiatrischen Zentrums.
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Die Clearingeinrichtung Implerstraße startete im März 2016 als gemeinsames Projekt der Landeshauptstadt München und des kbo-Sozialpsychiatrischen Zentrums. Anstoß für das gemeinsame Projekt waren die Ergebnisse der SEEWOLF-Studie und die Tätigkeit von Dr. Günther Rödig als Facharzt für Psychiatrie in der psychiatrischen Praxis für wohnungslose Menschen im Städtischen Unterkunftsheim an der Pilgersheimer Straße in München. Im Rahmen der Studie stellte sich heraus, dass von den 9.000 wohnungslosen Menschen in München ca. 93 Prozent auch unter einer psychischen Erkrankung leiden.
Das kann kein Psychiater alleine schaffen. So entstand die Idee, zusätzlich Fachpflegekräfte für Psychiatrie erstmals direkt in der Wohnungslosenhilfe einzusetzen. Das Büro der Clearingeinrichtung wurde in ein bestehendes Wohnheim für wohnungslose Menschen der Landeshauptstadt München integriert. Insgesamt gibt es in dem Notquartier Implerstraße 70 Plätze in Doppelzimmern für alleinstehende Frauen und Männer ab dem 18. Lebensjahr.
Primäres Ziel unserer Arbeit ist es, gemeinsam mit den Klientinnen und Klienten ein passendes Setting bzw. eine geeignete Wohnform, zum Beispiel eine therapeutische Wohngemeinschaft, zu finden. Die Besonderheit des Projektes ist der Einsatz von Fachpflegekräften für Psychiatrie direkt in einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe und die Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team. Bei der gemeinsamen Arbeit können Synergien und unterschiedliches Fachwissen genutzt und ergänzt werden.
Nach jahrelanger Arbeit in der Klinik war der Wechsel in den Bereich der Wohnungslosenhilfe für uns alle erst mal ein kleiner oder auch ein etwas größerer Kulturschock. Statt 24/7 Rundumversorgung in der Klinik müssen sich die Bewohnerinnen und Bewohner hier selbständig und unabhängig von ihrer psychischen Verfassung rund um selbst versorgen.
Wie der Name Notquartier schon sagt, ist es nur eine Notlösung für die wohnungslosen Menschen, um nicht auf der Straße schlafen zu müssen. Die Bewohner:innen müssen nicht nur mit ihren Erkrankungen und Problemen eigenständig zurechtkommen, sondern auch mit fremden Menschen in Doppelzimmern, sehr beschränkten finanziellen Mitteln und sehr spartanischen Bedingungen.
Die Clearingeinrichtung bietet den Bewohner:innen lediglich ein niederschwelliges und freiwilliges Unterstützungsangebot vor Ort.
Mit psychischen Erkrankungen kannten wir uns dank unserer langjährigen Tätigkeit in der Psychiatrie aus... aber was machen, wenn ein Klient kein Geld, keine Krankenversicherung oder nichts zu essen hat? Was für Möglichkeiten gibt es im Fall einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung? Und wann sind die Handlungsmöglichkeiten “in freier Wildbahn” erschöpft? Und was für Einrichtungen gibt es eigentlich innerhalb des psychiatrischen Versorgungssystems und des Systems der Wohnungslosenhilfe?
Das waren für uns völlig neue Herausforderungen, für die wir im Laufe der Zeit gemeinsam und im learning by doing Lösungsstrategien fanden. Nun stellt sich die Frage, warum man trotz dieser Herausforderungen noch jeden Tag gerne zur Arbeit fährt? Nun, bekanntlich wächst man mit den Herausforderungen. Beispielsweise können wir heute auch komplizierte Problemstellungen (die es laut dem Sozialgesetzbuch eigentlich gar nicht geben dürfte) inzwischen mithilfe unserer gewonnenen Erfahrungen, der Expertise der Kollegen des multiprofessionellen Teams und dem Wissen um Netzwerke und Ansprechpartner gemeinsam lösen. Hier ist vor allem die enge Zusammenarbeit mit den Bezirks Sozialarbeitern und der direkte Draht ins Amt für uns sehr wertvoll.
Die Tätigkeit ist genau so vielseitig wie es die Bewohner:innen sind. So sind alle Altersgruppen und auch Diagnosen innerhalb des Notquartiers vertreten. Von jungen Menschen die direkt aus der Jugendhilfe entlassen wurden bis hin zu älteren Menschen die auf Grund unglücklicher Umstände ihren Wohnraum verloren haben.
Auch der Faktor Zeit ist in nicht zu unterschätzen. In der Clearingeinrichtung kann man kann sich die benötigte Zeit und auch Ruhe für die Klientinnen und Klienten nehmen und nicht die, die am Ende im Stationsalltag noch übrigbleibt.
Auch wenn die Klientinnen und Klienten innerhalb der Wohnungslosenhilfe durchaus eher komplexere psychische Krankheitsbilder und gegenüber der Psychiatrie im Allgemeinen eher misstrauisch eingestellt sind, ist doch in den meisten Fällen eine produktive Zusammenarbeit gut möglich, wenn man die Bedürfnisse und das “Tempo” der wohnungslosen Menschen berücksichtigt.
In der Zukunft freuen wir uns darauf diesen Bereich gemeinsam weiterzuentwickeln und die Psychiatrie mit der Wohnungslosenhilfe weiter zu vernetzen.
Sollten Sie Interesse oder weitere Fragen zum Thema Wohnungslosenhilfe haben, können Sie uns gerne jederzeit persönlich ansprechen.
E-Mail: lena.kordick(at)kbo.de und yvonne.tesch(at)kbo.de
Telefon: 089 720160-22