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Mit Hilfestellung zurück in den Sattel

Zusammenfassung: Jacqueline Klinglmair ist im kbo-Isar-Amper-Klinikum als BEM-Beauftragte für das Betriebliche Eingliederungsmanagement zuständig. Sie unterstützt Mitarbeitende während langer Krankheitsphasen und hilft ihnen, nach der Genesung wieder in den Arbeitsalltag zurückzufinden. Welche Maßnahmen Betroffenen zur Verfügung stehen, erläutert sie im Interview.

Von Nina Schinharl am

Themen:

Frau Klinglmair, für wen ist das Betriebliche Eingliederungs-Management (BEM) gedacht?

Jacqueline Klinglmair: Das Betriebliche Eingliederungs-Management (BEM) richtet sich an alle Beschäftigten, die die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen. Wenn ein Beschäftigter innerhalb von zwölf Monaten sechs Wochen am Stück erkrankt ist, bekommt er über die Personalabteilung ein Angebot. Der Beschäftigte hat dann die freie Entscheidung, ob er das Angebot annimmt oder ablehnt.

Dass der Betroffene selbst entscheiden kann, ob und wie er den BEM-Prozess gestalten möchte, ist nebenbei auch entscheidend für das Vertrauen, denn das muss man sich von Fall zu Fall immer neu erarbeiten. Kein Prozess ist wie der andere, jeder ist sehr individuell in Bezug auf die verschiedenen Krankheitsbilder, denen wir begegnen, und wie wir mit ihnen umgehen. Wir als Schnittstelle für alle intern und extern an so einem Prozess Beteiligten lernen in jedem Fall auch immer neu dazu.

Wie viele BEM-Fälle gibt es im Jahr?

Es ist schwer zu eruieren. Wir verzeichnen ein Aufkommen, das sich durch die Schwierigkeiten, die Long Covid und die Pandemie mit sich brachten, sehr gesteigert hat. Es sind aktuell etwa 300 bis 350 Fälle pro Jahr. Ich betreue neben dem kbo-Isar-Amper-Klinikum München Ost auch noch den Standort Taufkirchen, wo die Fallzahlen ebenso steigen. In der Spitze hatten wir 2022 rund 700 Fälle, jetzt pendelt es sich hoffentlich wieder ein, aber die Fallzahlen sind insgesamt hoch und nicht alle sind einfach.

Können Sie ein Beispiel nennen, wie BEM die Situation eines betroffenen Mitarbeitenden bereits verbessern konnte?

Mein Beispiel ist ein sehr junger Kollege, ein Long-Covid-Fall, der uns lange begleitet hat. Es war ein sehr schwerer Fall aus dem Jahr 2020 inklusive einer vier bis sechs Wochen andauernde Intensiv-Liegephase. Wir haben uns sehr schnell mit ihm und den Reha-Trägern in Verbindung gesetzt, um ihn zu unterstützen.

Nach der Reha haben wir gemeinsam mit den Betriebsärzten überlegt, wie wir die Wiedereingliederung gestalten können. Wir haben die internen Schnittstellen, die Vorgesetzten und die Ärzte gemeinsam an einen Tisch geholt und unter Berücksichtigung der Berichte der Reha-Träger überlegt, was der Mitarbeitende benötigt.

Es war schwierig, denn Long Covid bringt Leistungsschwankungen mit sich, das weiß man heute, aber damals war das noch nicht so bekannt. Da war es nicht einfach, das richtige Maß zu finden. Der Kollege war zuvor eine 100-Prozent-Fachkraft als Krankenpfleger und ist mittlerweile bei 35 Prozent und wir sind happy, dass das gut funktioniert. Aber es war ein langer Weg mit Höhen und Tiefen für den Betroffenen und für uns auch immer wieder mit Neuüberlegungen in Bezug auf die Maßnahmen verbunden.

Fälle mit Teilerwerbsrente wie dieser nehmen stark zu in den letzten Jahren und wir arbeiten dahingehend auch sehr eng mit den Reha-Trägern, der Deutschen Rentenversicherung, Arbeitsämtern, Krankenkassen sowie Sozialeinrichtungen zusammen. Es ist alles sehr aufwendig, sehr arbeitsintensiv und sehr komplex. Einerseits muss der Mitarbeitende für sich klären, was er täglich in welcher Form schaffen kann. Wir als Arbeitgeber müssen auf der anderen Seite prüfen, welche Form können wir anbieten, wie können wir sie umsetzen, wie können das Vorgesetzte und auch die anderen Mitarbeitenden mitgestalten.

Welche konkreten Maßnahmen tragen zur Arbeitsplatz-Optimierung bei?

Wenn man physische Maßnahmen beschreiben möchte, dann sind es vor allem ergonomische, also ein ergonomischer Arbeitsplatz. Hatte ein Mitarbeitender beispielsweise eine Hüft-OP, dann überlegen wir, welche Arbeit führt er aus und was braucht er an seinem Arbeitsplatz. Wir schauen, welche ärztlichen Empfehlungen vorliegen und wie wir diese umsetzen können. Die ergonomischen Maßnahmen und die Hilfsmittel laufen bei kbo wirklich gut, werden schnell und auch unkompliziert über die Betriebsärzte gesteuert und über den Einkauf umgesetzt.

Was die psychischen Belastungen angeht, gibt es Maßnahmen der Arbeitsplatzveränderung, zum Beispiel eine Zeitanpassung. Wenn ein Mitarbeitender nach einem Herzinfarkt nicht wieder in den Schichtdienst kann, überlegen wir, wie wir seine Arbeitsorganisation entsprechend anpassen können.

Es kann auch sein, dass der ein oder andere einen ganz anderen Arbeitsplatz benötigt, wenn er nicht mehr in die ursprüngliche Berufsausübung zurückkann. Dann geht es in der Regel darum, jemanden in ein anderes Berufsfeld zu bringen, klassischerweise eine Pflegekraft in eine Bürotätigkeit oder Ähnliches. Diese Umorientierung wird dann ebenfalls unterstützt.

Haben Mitarbeitende manchmal Hemmungen, das BEM-Angebot anzunehmen?

Ja, es gibt noch Hemmschwellen, weil viele denken, dass der Arbeitgeber ihnen kündigen möchte, wenn sie das BEM in Anspruch nehmen. Dabei geht es um das genaue Gegenteil, der Arbeitgeber möchte Mitarbeitende mit dieser Maßnahme halten. Man verhindert im besten Fall die Kündigung.

Wir merken zwar, dass die Annahmequote sich von Jahr zu Jahr verbessert, aber das Verhältnis von Berechtigten und Annahmequote ist immer noch ausbaufähig. Eigentlich ist es eine wirklich gute Unterstützungsmaßnahme vom Arbeitgeber für die Betroffenen.

Eine längere Krankheit bedeutet für Betroffene oft einen Gang durch die Sozialsysteme. Nach sechs Wochen kommt das Krankengeld, das endet nach eineinhalb Jahren. Um manchmal in die medizinische oder therapeutische Versorgung zu kommen, kann es sechs bis acht Monate dauern, also die Zeit schreitet sehr schnell voran. Reha-Träger bzw. Arbeitsämter zahlen dann auch nur eineinhalb Jahre, dies gilt es gut im Blick zu halten. Und das tun wir. Wir begleiten und unterstützen dabei und das ist entscheidend für jemanden, der momentan nicht die Kraft hat, große Schritte zu tun.

Wir müssen auch sagen, die Fälle, die wir wieder eingegliedert haben, sind damit sehr glücklich und sehr dankbar dafür, dass man sich die Zeit genommen und die Möglichkeiten zur Wiedereingliederung geschaffen hat. Wir erhalten durchgehend gutes Feedback.

Seit wann sind Sie für das BEM tätig?

Seit 2018, also gut fünf Jahre. Das BEM gab es schon vor mir, allerdings in einer Form ohne einen Beauftragten. Wir haben dann, als ich eintrat, die Prozesse gemeinsam mit den internen Schnittstellen weiter gestaltet. Im Dezember 2023 haben wir dann eine neue BEM-Betriebsvereinbarung kreiert und über das kbo-Kommunalunternehmen abgeschlossen. Aktuell sind wir in der Prozessumsetzung und es läuft gut.

Im Augenblick bin ich leider noch allein im Team, aber es wurde bereits erkannt, dass Unterstützung notwendig ist, wenn wir die Annahmequote erhöhen wollen. Wenn Fälle komplexer sind, dann braucht man dafür Zeit, das ist nicht schnell gemacht. Dafür braucht es Manpower und daran arbeiten wir im Augenblick.  

Danke für das Gespräch.