Nachhaltig und wirkungsvoll mit Sucht umgehen
Zusammenfassung: Martina Diehnelt arbeitet seit 2005 im kbo-Heckscher-Klinikum und dort immer auf Station 6, die bis vor kurzem auch den Suchtbereich abdeckte. Seit Herbst 2023 ist die 43-jährige Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Suchtambulanz im Münchner Haupthaus der Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig. Außerdem ist Martina Diehnelt die Suchtbeauftragte des Klinikums. Im Interview spricht sie über ihren Wechsel in die Suchtambulanz, die Besonderheiten ambulanter Pflegearbeit und ihre Rolle als Bindeglied zwischen Station und Ambulanz.
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Sie arbeiten seit Oktober 2023 in der Suchtambulanz. Wie kam es dazu?
Martina Diehnelt: Ich hatte vorab intensive Gespräche mit der Leiterin der Suchtambulanz, Frau Dr. Ventrella, darüber, wie man den Suchtbereich aufwerten und die Abläufe optimieren könnte. Unsere Pflege- und Erziehungsdirektorin Frau Heyelmann ist außerdem eine starke Verfechterin der Ambulantisierung, sie hatte das für die Klinik neue Stellenprofil kurz vorher geschaffen. Also bin ich in die Suchtambulanz gewechselt, zunächst mit einem Tag pro Woche, nach einem halben Jahr dann mit zwei Tagen. Da ich nach wie vor auch auf Station arbeite, bin ich eine Art Bindeglied zwischen Ambulanz und Station. Das macht es für viele Jugendliche leichter, weil die bei mir schon angedockt sind. So spart man sich die Arbeit des Beziehungsaufbaus, der im Suchtbereich sehr wichtig ist.
Warum wollten Sie sich dieser neuen Herausforderung stellen?
Ich mag es, eigenständig zu arbeiten. Ich schätze es sehr, dass ich Zeit habe für den Jugendlichen und da einen Prozess beobachten kann. Denn das ist ja ein viel längerer Zeitraum, den man sie oder ihn begleitet, zum Teil bis zu einem Jahr. Und ich kann gezielter in die Richtung arbeiten, die mir Spaß macht, in der ich mich professionalisiert habe. Und mit 43 kann ich mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen, für immer und ewig im Schichtdienst zu arbeiten. Ich erachte den Kokon der stationären Behandlung nicht als sehr zielführend, gerade im Suchtbereich.
Was unterscheidet Ihre Arbeit jetzt von der auf Station?
Ich habe nur Einzelgespräche mit den ambulanten Patientinnen und Patienten, Gruppenangebote werden noch folgen. Ich kümmere mich um die Motivation zur Entgiftungsbehandlung, die Aufrechterhaltung der Abstinenz oder auch die Nachsorge, wenn die Jugendlichen von der Station kommen. Das ist Teil dieses Behandlungskonzepts mit einem anderen Schwerpunkt. Gegenstand des Pflege- und Erziehungsdienstes ist die Alltagskompetenz, damit ist es vielleicht etwas nahbarer und „lockerer“ als bei einem Therapeuten oder Arzt. Ich sehe das als große Wertschätzung, dass mir das Haus da so einen Vertrauensvorschuss gegeben hat.
Was muss eine Kollegin oder ein Kollege aus dem Pflege- und Erziehungsdienst mitbringen, um den Job in einer Ambulanz gut machen zu können?
Man sollte sehr eigenständig arbeiten können. Das ist ganz anders als auf Station. Man muss seinen Tag selbst strukturieren, im Grunde „takten“. Ich glaube, dass es auf jeden Fall eine Chance für viele Mitarbeitende wäre, die sagen, sie wollen nochmal in einem ganz anderen Setting arbeiten. Ich denke auch, dass es langfristig dazu führt, dass der Beitrag des Pflege- und Erziehungsdienstes am Behandlungsprozess eine höhere Anerkennung erfährt. Diese Mitarbeitenden müssen aber auch gut ausgebildet sein, in Gesprächsführung, auch in therapeutischer Hinsicht, denn da bleibt viel hängen. Auch sollte die- oder derjenige Berufserfahrung im psychiatrischen Bereich mitbringen. Und man muss sehr flexibel sein in Bezug auf andere Berufsgruppen im Klinikum. Denn auf einmal hat man fünf, sechs oder sieben Ansprechpartner, die für das Kind zuständig sind.
Wie sehen Sie generell die Ambulantisierung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie? Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Der Aufenthalt auf einer Station entspricht nicht dem realen Leben, es müsste viel mehr systemisch gearbeitet werden. Ich denke, Ambulantisierung ist grundsätzlich nachhaltiger, denn hier muss man das komplette System unter die Lupe nehmen. In der Ambulanz sehe ich die Chance, dass man einen längeren Begleitungsprozess hat und auch schaut, woran es hakt, warum es kracht zuhause. Hier kann man mit einem intensiveren ambulanten Arbeiten eine langfristige Wirkung erzielen. Die Jugendlichen gehen in die Schule, haben ihre Eltern um sich – sie haben all diese Belastungsfaktoren, die sie krankgemacht haben und dann aber zusätzlich das multiprofessionelle Team der Ambulanz, das sie behandelt.
Im April 2025 wurde in Giesing die Station 4 eröffnet, eine offene Suchtstation. Wie ist die Anbindung an die Ambulanz organisiert und warum halten Sie das offene Konzept für sinnvoll?
Ich habe in dem Zuge meinen stationären Dienst von der Station 6 auf die neue Station 4 verlegt. Vielleicht kann auch hier die Suchtambulanz eine Vorreiterrolle einnehmen als Beispiel dafür, wie eine verzahnte Behandlung konkret aussehen kann.
Und zur zweiten Frage: Alles unter Zwang funktioniert im Suchtbereich nicht. Das hat man mittlerweile verstanden: es braucht eine eigene Motivation, die Situation zu verändern und einen Prozess, um das einzuleiten. Der Suchtbereich in Oberbayern hat über Jahre gelitten, war nicht „up to date“. Keiner will sich heute mehr einsperren lassen. Dass die Türen in der neuen Station offen sind, ist gut. Denn das ist die Realität. Die Jugendlichen werden lernen, damit umzugehen, dass da draußen Drogen verkauft und konsumiert werden.
Liebe Frau Diehnelt, vielen Dank für das Gespräch!