Leidenschaft für Sozialpsychiatrie und recovery-orientierte Arbeit im kbo-SPZ
Zusammenfassung: In diesem Interview sprechen wir mit Raimund Seifüßl, Gesundheits- und Krankenpfleger im kbo-Sozialpsychiatrischen Zentrum (kbo-SPZ) Wasserburg am Inn, über seinen beruflichen Werdegang, seine Begeisterung für die Sozialpsychiatrie und seine neue Rolle als Koordinator für die Implementierung von EX-IN-Genesungsbegleitungen. Raimund gibt uns einen Einblick in seine täglichen Aufgaben, die Bedeutung recovery-orientierter* Arbeit und die Chancen, die EX-IN für die Psychiatrie bietet.
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Raimund, Du hast nach Deinem Abschluss als Gesundheits- und Krankenpfleger 2016 auf einer Akutstation gearbeitet. Wie kam es dazu, dass Du Dich auf die Sozialpsychiatrie spezialisiert hast?
Nach meiner Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger habe ich zunächst in der Akutpsychiatrie gearbeitet. 2020 entschied ich mich dann für die Weiterbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger für die Pflege in der Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DKG). Im Rahmen dieser Weiterbildung absolvierte ich ein Praktikum im kbo-SPZ in Wasserburg am Inn, wo meine Leidenschaft für die Sozialpsychiatrie geweckt wurde. Besonders die Bereiche WG-Betreuung, Tagesstruktur und Zuverdienst haben mich fasziniert. Diese praxisnahe Arbeit und der direkte Kontakt mit den Klientinnen und Klienten haben mir gezeigt, wie wichtig individuelle Unterstützung in diesem Bereich ist.
Was sind Deine Hauptaufgaben im kbo-SPZ?
Seit März 2022 bin ich im kbo-SPZ tätig und betreue dort sowohl die Wohngemeinschaft als auch den Zuverdienst. In der WG-Betreuung begleite ich die Klientinnen und Klienten bei verschiedensten Alltagsthemen – sei es bei Arztbesuchen, beim Einkaufen oder der Freizeitgestaltung. Hier geht es um praktische Unterstützung im Alltag, aber auch um Bezugsgespräche, in denen wir auf persönliche Herausforderungen eingehen. Im Bereich Zuverdienst bin ich als Anleiter tätig und unterstütze die Klienten bei Hausmeistertätigkeiten. Diese Aufgaben bieten den Betroffenen eine wertvolle Tagesstruktur und fördern ihre Eigenständigkeit.
Du legst viel Wert auf recovery-orientiertes Arbeiten. Was genau bedeutet das für Dich?
Recovery-orientiertes Arbeiten bedeutet für mich, die Stärken und Ressourcen der Klientinnen und Klienten in den Vordergrund zu stellen. Es geht darum, gemeinsam Ziele zu erarbeiten und die Menschen auf ihrem individuellen Weg zu mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität zu unterstützen. Im Rahmen der Kontakt- und Begegnungsstätte biete ich auch verschiedene Gesprächsgruppen an, die sich mit Themen wie Resilienz, Empowerment und psychischer Gesundheit beschäftigen. Diese Gruppen bieten Raum für Austausch und fördern das Bewusstsein für die eigenen Ressourcen.
Inwiefern fühlst Du Dich von kbo als Arbeitgeber bei Deinen Aufgaben unterstützt?
In herausfordernden Situationen sind die Vorgesetzten jederzeit ansprechbar und unterstützen dabei, gemeinsam tragfähige Lösungen zu finden. Besonders gefällt mir die stets offene Tür und die Unterstützung, die von der Führungsebene angeboten wird. Zudem stehen den Mitarbeitenden vielfältige Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten zur Verfügung, die die persönliche und berufliche Entwicklung fördern. Für mich entsteht so ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Förderung und Herausforderung.
Du hast vor kurzem die Koordination zur Implementierung von EX-IN-Genesungsbegleitungen bei kbo übernommen. Was reizt Dich an dieser Aufgabe?
Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit EX-IN und recovery-orientierter Arbeit, sowohl theoretisch als auch praktisch. Im März 2024 habe ich dann zusätzlich mit einem Stellenanteil von 20 Prozent die Koordination zur Implementierung von EX-IN-Genesungsbegleitungen im kbo-Kommunalunternehmen übernommen. Im Rahmen meiner Einarbeitung absolviere ich die EX-IN-Trainerausbildung.
EX-IN steht für „Experienced Involvement“ (übersetzt bedeutet das die Einbeziehung Psychiatrieerfahrener) und ermöglicht es, Menschen mit eigener psychischer Gesundheitserfahrung als Genesungsbegleitung in den Behandlungsprozess zu integrieren. Diese Perspektive bietet wertvolle Einblicke, die das Team und die Organisation bereichern können. Meine neue Aufgabe ist es, die Implementierung von EX-IN bei kbo zu koordinieren, Erfahrungen zu sammeln und die Zusammenarbeit mit bereits erfolgreichen Einrichtungen in Bayern zu fördern. Dabei ist mein Ziel, ein Bewusstsein für den Wert von Genesungsbegleitungen zu schaffen und eine stärkere Vernetzung bei kbo aufzubauen.
Welche Vision hast Du für die Zukunft der Genesungsbegleitungen bei kbo?
Ich sehe großes Potenzial darin, EX-IN-Genesungsbegleiterinnen und -begleiter fest in den Behandlungsprozess zu integrieren. Es ist wichtig, Ängste und Vorbehalte abzubauen und den Austausch innerhalb von kbo und mit anderen Einrichtungen zu fördern. Gemeinsam mit EX-IN Bayern und den kbo-Mitarbeitenden möchte ich daran arbeiten, ein tieferes Verständnis für die Rolle der Genesungsbegleiter zu schaffen. Es geht darum, voneinander zu lernen und Genesungsprozesse so zu gestalten, dass sie wirklich auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen eingehen. Ich bin überzeugt, dass wir so einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung der Psychiatrie leisten können.
* Im psychiatrischen Bereich bedeutet recovery-orientiert oder Recovery-Orientierung einen Ansatz, der sich auf die individuelle Genesung und Lebensqualität von Menschen mit psychischen Erkrankungen konzentriert. Dabei geht es weniger um das vollständige „Heilen“ der Erkrankung im klassischen Sinne, sondern um die Förderung eines erfüllten und selbstbestimmten Lebens trotz der psychischen Herausforderungen.