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Die Pflege von Menschen mit Demenz heißt: Den Menschen sehen, nicht nur Symptome

Pflege von Menschen mit Demenz

Zusammenfassung: Wer mit Menschen mit Demenz arbeitet, weiß: Pflege beginnt mit echten Momenten der Begegnung. Beziehung ist dabei kein möglicher Zusatz, sondern ein tragender Pfeiler guter Versorgung und wird zur Brücke, wenn die Erinnerung verblasst.

Von Kathrin Bethke am

Themen:

Gerade bei Menschen mit Demenz, die sich häufig nicht mehr verbal ausdrücken können, gewinnt die zwischenmenschliche Ebene an Bedeutung. Ob im Pflegeheim, in der Klinik oder zu Hause – immer dann, wenn Worte nicht mehr ausreichen, brauchen wir andere Wege, um in Kontakt zu treten. Wege, die auf Vertrauen, Nähe und Wertschätzung basieren.

 

Beziehungspflege als professioneller Auftrag

Die Pflege von Menschen mit Demenz erfordert eine besondere Haltung. Denn wer sich nicht mehr in Raum, Zeit oder Sprache zurechtfindet, braucht Orientierung auf andere Weise – durch Blickkontakt, Berührung, durch Rituale oder kleine gemeinsame Erlebnisse. Beziehung ist dabei nicht nur ein Gefühl, sondern ein pflegerischer Auftrag.

Der Nationale Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ konkretisiert diesen Anspruch: Pflegefachpersonen sollen durch gezielte Begegnungen das Personsein erhalten und fördern. Es geht darum, dass sich Menschen mit Demenz gehört, verstanden und verbunden fühlen – selbst dann, wenn sie sich nicht mehr mitteilen können.

Elena Nuñez, Bereichsleitung Pflege an den kbo-Lech-Mangfall-Kliniken, bringt ihre Erfahrung so auf den Punkt:

„Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass echte Beziehungsgestaltung in der psychiatrischen Akutversorgung vor allem mit Haltung zu tun hat – nicht nur mit Handlung. Es geht nicht darum, Patienten ‚gut zu behandeln‘, sondern darum, authentisch, transparent und verlässlich zu sein. Besonders in Krisensituationen zählt jede nonverbale Geste, jedes Zuhören, jedes aufrichtige Interesse.“

Auch Clara Schumacher, Gesundheits- und Krankenpflegerin und Pflegedienstleitung am kbo-Zentrum für Altersmedizin und Entwicklungsstörungen in Haar, unterstreicht die Bedeutung der nonverbalen Kommunikation:

„Ich bin seit über zehn Jahren im Zentrum für Altersmedizin und Entwicklungsstörungen tätig. In dieser Zeit habe ich eine Vielzahl von Beziehungsgestaltung erlebt. Eine sehr wichtige Erkenntnis für mich ist und war: Beziehung findet auf verschiedenen Wegen statt. Sie muss nicht immer verbal geäußert werden, die Mimik und Gestik spielt hier eine ganz wichtige Rolle. Und Beziehung muss nicht durch große Sätze, Worte oder Handlungen gekennzeichnet sein – auch ganz kleine Handlungen können eine Beziehung aufbauen – und das ist in der Betreuung von Menschen mit Demenz ganz wichtig.“

 

Aus der Praxis für die Praxis

Die kbo-Pflegekonferenz hat deshalb den kbo-Arbeitskreis Pflegeentwicklung beauftragt, diesen Expertenstandard kbo-weit und dabei praxisnah aufzubereiten. Entstanden ist ein umfangreiches Booklet mit vielen Beispielen, wie Beziehung im Pflegealltag gelingen kann, entwickelt von Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis für die Praxis.

Die praktische Beziehungsgestaltung lebt von kleinen, aber gezielten Impulsen. Ob Erinnerungskiste, Malgruppe, Aromapflege oder tiergestützte Therapie: Die beschriebenen Interventionen zeigen, wie eine primär fachlich geprägte Pflegebeziehung mit Leben gefüllt werden kann. Sie unterstützen Pflegende von Menschen mit Demenz dabei in Kontakt mit ihren Patientinnen und Patienten zu treten.

Die Pflege bei kbo orientiert sich dabei an pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen, ohne die Realität auf Station aus dem Blick zu verlieren. Das Booklet bietet konkrete Tipps und erprobte Methoden, die Teams im oft herausfordernden Alltag entlasten und inspirieren sollen.

 

Lebensgeschichten als Schlüssel zur Beziehung

Ein essenzieller Bestandteil der beziehungsorientierten Pflege ist die sogenannte Biografiearbeit – ein Thema, das bereits in der Pflegeausbildung vermittelt wird. Michael Hangl, Pflegepädagoge und Lehrer an der kbo-Berufsfachschule für Pflege in Haar, erklärt:
„Bei der Biografiearbeit beschäftigt man sich mit der Lebensgeschichte einer Person. Dadurch ist es möglich, einen Menschen ganzheitlich zu betrachten, ihn in den Mittelpunkt zu stellen und nicht nur den Fokus auf die Krankheitsgeschichte und die zu behandelnden Symptome zu richten.“

Für Pflegefachpersonen bedeutet das, individuelle Interessen, Prägungen oder Vorlieben der Patientinnen und Patienten kennenzulernen und darüber Anknüpfungspunkte zu erhalten, um eine echte Beziehung herstellen zu können.

„Es ist meines Erachtens sehr wichtig, das Thema bereits im Rahmen der Ausbildung intensiv zu behandeln, da Biographiearbeit einen zentralen Grundstein der gesamten pflegerischen Arbeit jetziger und auch zukünftiger Pflegepersonen darstellt, um individualisierte, patientenorientierte und qualitativ hochwertige Pflege leisten zu können“, erklärt Michael Hangl weiter.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Patientin reagierte abwehrend auf eine bestimmte Pflegesituation. Erst durch Informationen aus ihrer Biografie wurde klar, dass sie ein früheres traumatisches Erlebnis mit genau dieser Situation verband. Mit diesem Wissen konnte das Team empathisch und lösungsorientiert reagieren.

Solche sogenannten Verstehenshypothesen helfen dabei, Verhalten nicht vorschnell zu deuten, sondern aus dem individuellen Erleben heraus zu verstehen. Besonders bei der Biografiearbeit und der Entwicklung von Verstehenshypothesen ist die Einbindung des gesamten multiprofessionellen Teams entscheidend, um den bestmöglichen Effekt bei der Beziehungsgestaltung erreichen zu können.

 

Kleine Interventionen mit großer Wirkung

Beziehungsfördernde Maßnahmen müssen nicht aufwendig sein. Vielmehr kommt es auf Alltagstauglichkeit und Menschlichkeit an. Einige bewährte Interventionen, die in verschiedenen kbo-Pflegeeinrichtungen Anwendung finden:

All diese und viele weitere Angebote haben eines gemeinsam: Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt, nicht das Defizit.

Dazu sagt Elena Nuñez: „Echte Beziehungspflege beginnt, wenn ich mich als Mensch einbringe, nicht nur als professionelle Rolle. Wenn ich Patientinnen und Patienten nicht nur als Diagnosen sehe, sondern als individuelle Menschen mit Geschichten, Bedürfnissen, Stärken und Ängsten.“

 

Impulse für die Zukunft der Demenzpflege

Das Wissen über wirksame beziehungsfördernde Maßnahmen wächst stetig. Wichtig ist, dass es geteilt und weiterentwickelt wird – im Austausch unter Fachkräften, im Gespräch mit Angehörigen und im offenen Blick für das, was im Alltag funktioniert.

Die hier vorgestellten Beispiele zeigen Möglichkeiten auf, wie sich professionelle Beziehungsgestaltung mit Menschen mit Demenz praktisch gestalten lässt.

Solche Pflegebeziehungen verbessern nicht nur die Lebensqualität von Menschen mit Demenz, sondern können sich auch positiv auf die Arbeitszufriedenheit der Teams auswirken. Denn echte Begegnung wirkt immer in beide Richtungen.


Interesse am Booklet?

Bei Interesse an dem Booklet „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ wenden Sie sich gerne an die Pflegeentwicklung Ihrer Klinik oder laden Sie sich die digitale Version mit vielen hilfreichen Interventionsvorschlägen aus der Praxis für die Praxis herunter.