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Person blickt von dunklem Raum ins Helle als Symbol für den Wandel seit der Psychiatrie-Enquete: von Ausgrenzung hin zu Menschlichkeit, Teilhabe und neuer Offenheit.

50 Jahre Psychiatrie-Enquete

Zusammenfassung: Vor fünfzig Jahren begann in Deutschland eine neue Ära der psychiatrischen Versorgung. Mit der Psychiatrie-Enquete des Deutschen Bundestags im Jahr 1975 wurden gravierende Missstände aufgedeckt und der Grundstein für eine menschenwürdige Behandlung von Menschen mit psychischer Erkrankung gelegt. Diese Reform war ein entscheidender Schritt hin zu mehr Würde, Teilhabe und Verständnis, der bis heute wirkt.

Von Kathrin Bethke am

Themen:

Bis in die 1970er-Jahre glichen psychiatrische Kliniken vielerorts eher Verwahranstalten als Orten der Hilfe. Menschen mit psychischen Erkrankungen wurden isoliert, entrechtet und oft vergessen. Im Volksmund nannte man diese Einrichtungen „Irrenanstalten“ – ein Begriff, der das damalige Denken treffend widerspiegelt: Betroffene galten nicht als behandlungsbedürftige Patientinnen und Patienten, sondern als „Irre“, die abseits der Gesellschaft zu stehen hatten.

Die Geburtsstunde der Psychiatrie-Enquete

Erst 1975 befasste sich der Deutsche Bundestag erstmals ausführlich mit der Situation in der Psychiatrie. Rund 200 Expertinnen und Experten legten einen 430 Seiten starken Abschluss vor: den Bericht der Enquete-Kommission „Zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“.

Er zeigte die massiven Missstände in den Kliniken auf und forderte grundlegende Veränderungen: mehr Personal, mehr Menschlichkeit, mehr Teilhabe. Damit begann eine neue Ära der psychiatrischen Versorgung mit gemeindenahen Strukturen, Tageskliniken und sozialpsychiatrischen Diensten, die den Menschen in den Mittelpunkt stellten und bis heute die Versorgung tragen.

Zugleich änderte sich das gesellschaftliche Bewusstsein. Psychische Erkrankungen wurden zunehmend als Teil menschlicher Erfahrung verstanden – als etwas, das jeden treffen kann. Diese Offenheit trug dazu bei, dass sich die Zahl der Suizide in Deutschland seit den 1970er-Jahren halbiert hat.

Neue Herausforderungen in einer veränderten Gesellschaft

Doch fünfzig Jahre später zeigt sich: Die Aufgabe ist nicht abgeschlossen. Die Psychiatrie hat sich modernisiert, aber die Gesellschaft, in der sie wirkt, hat sich ebenfalls verändert. Heute sind es weniger institutionelle Mauern, die trennen, sondern soziale und ökonomische Barrieren.

Wohnungsnot, Vereinsamung, steigende Lebensanforderungen und zunehmende Ausgrenzung treffen besonders auch Menschen mit psychischen Erkrankungen. Denn Genesung ist keine rein medizinische, sondern eine soziale Aufgabe.

Menschlichkeit ist eine Aufgabe für uns alle

Psychiatrische Arbeit kann nur dann gelingen, wenn die Gesellschaft Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht an den Rand drängt, sondern ihnen einen Platz in ihrer Mitte gibt.

Die Psychiatrie-Enquete war ein Aufbruch in eine neue Zeit. Ihr Geist lebt überall dort weiter, wo mit Respekt, Empathie und fachlicher Kompetenz gearbeitet wird.

Bei kbo verstehen wir diesen Auftrag als unsere Verpflichtung: Wir begleiten Menschen mit psychischen Erkrankungen auf ihrem Weg – mit Offenheit, Professionalität und dem Ziel, Teilhabe zu ermöglichen. Denn Menschlichkeit ist keine historische Errungenschaft, sondern eine tägliche Aufgabe.