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„Bisher wurden insgesamt über 200 verschiedene Symptome für das Post-Covid-Syndrom beschrieben.“

Mehr als 3,6 Millionen Menschen in Deutschland haben bisher eine Corona-Erkrankung durchgemacht und gelten als genesen. Genesen heißt jedoch nicht immer gesund. Manche Betroffene leiden auch über Wochen und Monate hinweg weiterhin unter verschiedenen Beschwerden, dem Post-Covid-Syndrom. Wir haben mit Dr. Katharina Grobholz gesprochen, die in der Post-Covid-19-Ambulanz am kbo-Isar-Amper-Klinikum Haar tätig ist.  

Zur Person:

Dr. Katharina Grobholz ist seit Dezember 2010 am kbo-Isar-Amper-Klinikum Haar tätig. Seit 2018 ist sie Oberärztin, vorher war sie zwei Jahre Oberärztin im kbo-Isar-Amper-Klinikum Taufkirchen (Vils). Im März 2020 hat sie die oberärztliche Leitung des Corona-Bereiches für das kbo-Isar-Amper-Klinikum übernommen. 
Sie ist Fachärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Zudem hat Dr. Grobholz die Zusatzbezeichnungen Suchtmedizinische Grundversorgung und Geriatrie sowie eine Ausbildung zur Supervisorin für Verhaltenstherapie. 

Frau Dr. Grobholz, wie haben Sie die Pandemie bzw. die Situation im Corona-Bereich des kbo-Isar-Amper-Klinikums bisher erlebt?

Katharina Grobholz (KG): Wir haben Corona-positive Patienten mit Erkrankungen aus dem gesamten psychiatrischen Spektrum behandelt. Eine besondere Herausforderung war es, trotz der Infektion mit ihren strengen Hygienemaßgaben, dem psychiatrischen Behandlungsauftrag gerecht zu werden. Für die Patientinnen und Patienten stellte die Infektion mit der erforderlichen Isolation in ihrer seelischen Not zusätzlich eine immense Belastung dar. Neben der psychiatrischen Behandlung hieß es, die täglich neuen Erkenntnisse über das Coronavirus zu berücksichtigen, ein Virus, das in seiner Komplexität nahezu alle Fachrichtungen überrollt hat. Dank des motivierten und flexiblen Teams konnte eine fachgerechte Behandlung für psychiatrische Corona-Patienten erfolgen. 

Warum wurde eine Post-Covid-Ambulanz am kbo-Isar-Amper-Klinikum Haar eingerichtet?

KG: Bereits ab der zweiten Welle sind mir auf unserer Corona-Station erste „Long-Covid“-Patienten begegnet, die nicht mehr akut erkrankt bzw. infektiös waren, aber noch unter Restsymptomen, zum Beispiel Erschöpfungszuständen, litten. Mit steigender Pandemiedauer kristallisiert sich nun zunehmend die Bedeutung dieses Krankheitsbildes heraus. 
Nachdem kurative Ansätze für diese Erkrankung fehlen, stehen neben einer organspezifischen, symptomorientierten Behandlung Aspekte wie Psychoedukation, Alltagsplanung und Energiemanagement im Vordergrund. Für Patientinnen und Patienten, die einen hohen Leidensdruck haben, sind vor allem Copingstrategien wichtig, um weiteren Chronifizierungsprozessen entgegenzuwirken. Hier sehe ich die Rolle psychiatrischer, psychosomatischer bzw. psychotherapeutischer Behandlungsansätze im Rahmen einer multidisziplinären Behandlung.

Was leistet die Ambulanz, wer kann dort hinkommen?

KG: Die Ambulanz bietet die Möglichkeit, Patientinnen und Patienten nach einer SARS-CoV-2-Infektion und anhaltenden, schwerpunktmäßig (neuro-)psychiatrischen Symptomen eine fachgerechte Diagnostik anzubieten. Bisher wurden insgesamt über 200 verschiedene Symptome für das Post-Covid-Syndrom beschrieben. Die Unterscheidung zwischen einer Depression, Angststörung oder anderweitigen psychischen Erkrankungen nach einer Covid-19-Infektion zu einem Post-Covid-Syndrom oder einer Mischproblematik kann mitunter schwierig sein.  
Die Ambulanz soll Betroffenen Diagnosesicherheit bringen, Unterstützung bei der Entwicklung von Krankheitsakzeptanz und Bewältigungsstrategien bieten und Möglichkeiten zur Symptomlinderung und Alltagsbewältigung aufzeigen. Uns ist wichtig, dass die Patientin oder der Patient mit den jeweiligen individuellen Problemen im Mittelpunkt steht.
Patienten können über niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ebenso wie über Ambulanzen oder Kliniken an uns verwiesen werden. Betroffene können sich auch direkt an unsere Post-Covid-Ambulanz wenden. Patienten oder Zuweiser können telefonisch oder per E-Mail Kontakt aufnehmen. Im Rahmen eines telefonischen Screeninggesprächs wird daraufhin ermittelt, ob die Ambulanz das passende Angebot für den jeweiligen Patienten darstellt. Sofern dies der Fall ist, wird ein Termin vereinbart. Derzeit ist in der Ambulanz, die chefärztlich von Prof. Dr. Peter Brieger geleitet wird, neben mir noch ein weiterer ärztlicher Kollege im Bereich Post-Covid tätig. 

Derzeit kursieren die Begriffe Long-Covid und Post-Covid in der Literatur, aber auch in den Medien. Gibt es hier einen Unterschied? 

KG: Ja, in der neuen Leitlinie, die erst kürzlich veröffentlicht wurde, wird definiert, dass bis zu vier Wochen von einer akuten Corona-Erkrankung gesprochen werden kann. Alles, was ab diesem Zeitpunkt an Beschwerden bis zu zwölf Wochen anhält, bezeichnet man aus medizinischer Sicht derzeit als Long-Covid. Beschwerden, die über zwölf Wochen hinausgehen, werden als Post-Covid-Syndrom bezeichnet.

Ruft ein Post-Covid-Syndrom Depressionen hervor?

KG: Eine depressive Verstimmung sowie Angst- und Schlafstörungen werden als Symptome des Post-Covid-Syndroms beschrieben. Alles Symptome, die sich auch bei einer Depression wiederfinden können. Grundsätzlich besteht wie bei jeder chronisch verlaufenden Erkrankung mit Einschränkung von Arbeits- und Alltagsfähigkeit bzw. die Lebensqualität einschränkenden Symptomen, ein erhöhtes Risiko, an einer affektiven Störung zu erkranken. 

Wie sehen Sie den Risikofaktor psychiatrische Vorerkrankung?

KG: Die genauen Ursachen der Post-Covid-Erkrankung sind noch unklar, es gibt viele Theorien, insgesamt wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen. Als Vulnerarbilitätsfaktor hat sich unter anderem eine psychiatrische bzw. psychosomatische Vorerkrankung gezeigt, ich sehe hier einen besonderen Versorgungsbedarf, sei es im Sinne der Differentialdiagnostik als auch in der Komplexität der Behandlungsansätze. 

Was denken Sie, wie sich die Situation in Zukunft entwickelt?

KG: Zu eindeutigen Prognosen lassen sich selbst die Experten der neuen Leitlinie nicht verleiten, zunächst ist aber meiner Meinung nach bis zu einem stabilen Abklingen der Pandemie mit einer Zunahme an Patientinnen und Patienten zu rechnen, weil diese mit steigender Anzahl an spezialisierten Angeboten sichtbar werden. 
Da der Erkrankung aktuell hohe Aufmerksamkeit zu Teil wird, ist in der Zukunft auf eine Vielzahl an neuen Studienergebnissen zu hoffen, zudem ist eine multidisziplinäre Kooperation bei der Behandlung unerlässlich, so dass auch ich für unsere Ambulanz einen regen Austausch und eine Zusammenarbeit mit den interdisziplinären, somatisch angesiedelten Ambulanzen für unerlässlich erachte. Derzeit erleben wir einen großen Andrang auf die Ambulanz, sodass wir bei der Terminvergabe bereits im September 2021 angekommen sind. Selbstverständlich werden wir dies genau im Auge behalten und mit Prof. Brieger regelmäßig reflektieren, da wir den Patientinnen und Patienten gerne zeitnahe Termine anbieten möchten. 

An wen sollten sich Betroffene oder Angehörige wenden, um in ein passendes Angebot vermittelt zu werden?

KG: Die primäre Vorstellung sollte beim Hausarzt erfolgen. Die S1-Leitlinie soll insbesondere auch hier ein Leitfaden für die primär versorgenden Ärztinnen und Ärzte sein, vor allem was die Basisdiagnostik angeht. Je nachdem, welche Symptome im Vordergrund stehen, wird dann eine fachgerechte Vorstellung bzw. eine Vorstellung in einer Spezialambulanz empfohlen. 

Was möchten Sie Betroffenen und Angehörigen sonst noch sagen?

KG: Es gibt noch viele offene Fragen, aber erfreulicherweise ist nach bisheriger Erkenntnis die Prognose zumindest für viele Symptome gut, zum Beispiel nach sechs Monaten sind die Riechstörungen bei bis zu 90 % der Patienten wieder verschwunden, auch das gilt es zu vermitteln und Patienten mit hoher Symptombelastung durch kritische Phasen zu leiten. Aus unserer Sicht ist es deshalb von großer Bedeutung, den Patienten und auch den Angehörigen die Hoffnung zu vermitteln, dass Besserung eintreten kann. 

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führten Miriam Hailer und Dr. Heike Ewald, beide kbo-Kommunalunternehmen.

Von Miriam Hailer und Dr. Heike Ewald 28. Juli 2021

Kontakt zur Post-Covid-Ambulanz

kbo-Isar-Amper-Klinikum Region München
Post-Covid-Ambulanz
Ringstraße 56 | 1. OG
85540 Haar
Telefon: 089 4562-3918
Fax: 089 4562-3309
E-Mail: post-covid-ambulanz.iak(at)kbo.de
Web: kbo-iak.de/kliniken-und-bereiche/post-covid-ambulanz