"Ich war nie der klassische Schreibtisch-Typ"
Gerald Niedermeier, Geschäftsführer der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken, spricht im Interview über seinen Eintritt in den Ruhestand.
Herr Niedermeier, Sie werden Ende des Jahres nach 20-jähriger Tätigkeit als Geschäftsführer der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Wenn Sie eine Rückblick wagen, wie würden Sie diese zwei Jahrzehnte beschreiben?
Gerald Niedermeier (GN): Vielleicht das Wichtigste vorweg: Ich konnte in all der Zeit immer frei arbeiten, mich entfalten und meine Visionen weitestgehend umsetzen, hatte genügend Gestaltungsspielräume und konnte auf das Vertrauen von Martin Spuckti, Vorstandsvorsitzender kbo, und auch von Josef Mederer, Bezirkstagspräsident, zählen. Sie haben mir freie Hand gelassen und dafür war und bin ich den beiden sehr dankbar.
Sie gelten innerhalb von kbo als Visionär und Macher, sehen Sie sich auch so?
GN: Durchaus. Ich war nie der klassische Schreibtisch-Typ. Eher derjenige, der mit Blick auf zukünftige Herausforderungen die Dinge anschiebt und vorantreibt. Und das immer im Zusammenspiel mit meinem hervorragenden Team, denn ohne gute Mitstreiter im medizinischen, therapeutischen, pflegerischen und Verwaltungsbereich hätte ich sicher nicht so erfolgreich agieren können.
Was war Ihr vorrangiges Ziel als Geschäftsführer von vier psychiatrischen Fachkliniken?
GN: Die Entwicklung der Psychiatrie – weg vom Stigma der „verrückten“ Patienten, die, lassen Sie es mich ein wenig überspitzt formulieren, „weggesperrt werden, um ein bisschen zu basteln“, hin zu einem offenen, vielseitigen und umfassenden Behandlungskonzept, das niederschwellig dem gerecht wird, dass immer mehr Menschen im Lauf ihres Lebens einmal psychisch erkranken. Nicht zuletzt auch deshalb kooperieren wir an allen kbo-Standorten eng mit den somatischen Kliniken, wir teilen uns nicht nur die Eingänge, um Hemmschwellen abzubauen, sondern unterstützen uns auch gegenseitig in der Diagnostik und Behandlung der Patienten. Heute wird die Psychiatrie als wichtige Fachrichtung auch in den somatischen Kliniken gewürdigt.
Ein weiterer wichtiger Punkt war die Regionalisierung …
GN: Als ich meinen Posten übernommen habe, mussten die Patienten aus dem Landkreis noch weite Wege in Kauf nehmen, um sich psychiatrisch behandeln zu lassen. Das Hauptziel des Bezirks Oberbayern war, eine wohnortnahe Versorgung zu ermöglichen, die Regionalisierung psychiatrischer Angebote hatte oberste Priorität. Dieser Grundgedanke war mir vorgegeben und so haben wir nach und nach zunächst in Agatharied, zwei Jahre später in Garmisch-Partenkirchen und kurz darauf auch in Landsberg am Lech und Peißenberg unsere kbo-Lech-Mangfall-Kliniken eröffnet. Weitere Standorte sind in Weilheim und Wolfratshausen geplant. In Bad Tölz haben wir kürzlich mit der Tochtergesellschaft kbo-Medizinisches Versorgungszentrum, eine Versorgungslücke schließen können. Wichtig war es immer, nicht irgendwo auf der Wiese zu bauen, sondern zentral und dort, wo die Menschen leben. Heute muss jedenfalls kein Patient mehr sehr weit reisen, um sich helfen zu lassen.
Stimmt es, dass man Sie zunächst ein wenig belächelt hat, weil man davon ausging, dass Sie am Bedarf vorbeiplanen könnten? Die Klinik in Garmisch-Partenkirchen hatte zu Beginn 54 Betten, die schnell nicht mehr ausreichten, heute sind es 120 – bei einer Auslastung von über 90 Prozent.
GN: Ja, damit hat tatsächlich niemand gerechnet.
Früher gab es für psychisch kranke Menschen ja nur die Möglichkeit einer stationären Behandlung, heute sind die Behandlungsangebote weitaus differenzierter.
GN: Auch das war mein Anliegen: Zusätzliche Angebote zu schaffen, um möglichst vielen Menschen helfen zu können. Es gibt heute an allen unseren Kliniken neben der vollstationären auch eine teil-stationäre Behandlung in unseren Tageskliniken, in denen die Patienten nur fünf Tage die Woche bei uns verbringen und am Abend und am Wochenende daheim sind. Außerdem haben wir an allen Standorten auch Institutsambulanzen. Durch diese Dreigliederung wurde das Angebot enorm erweitert und komplettiert, das Stigma von Großkliniken abgebaut und auch für all diejenigen Angebote geschaffen, die keine stationäre Hilfe benötigen. Dabei geht es in erster Linie immer darum, die Patienten in ihren Alltag zu integrieren und zu befähigen, in ihrem gewohnten Umfeld zu leben.
Mit dem neuen Behandlungskonzept einer stationsäquivalente Behandlung (= StäB) erweitern Sie die Palette der Behandlungsmöglichkeiten um einen neuen Baustein.
GN: Ja, wir haben gerade 20 Betten bewilligt bekommen, um Patienten daheim behandeln zu können. Also um beispielsweise älteren Menschen mit Demenz zu ermöglichen, solange wie möglich in ihrem häuslichen Umfeld zu bleiben. Oder Mütter mit einer Wochenbettdepression zu helfen, die sich mit ihrem neugeborenen Baby nicht in eine psychiatrische Klinik begeben können oder wollen. Dieses Konzept ist ein weiterer Schritt, Patienten zu helfen, die man mit einer sehr einschränkenden vollstationären Behandlung in der Klinik nie erreichen könnte.
Sie bieten in Ihren Kliniken neben den medizinischen eine Vielfalt therapeutischer Behandlungs- und Diagnostik-Methoden …
GN: Das Verständnis für die äußerst vielfältigen psychiatrischen Krankheitsbilder hat sich gerade in den vergangenen 20 Jahren enorm erweitert, dieser Entwicklung muss ein breit gefächertes Behandlungsspektrum mit vielen Spezialangeboten Rechnung tragen.
Da ist zum Beispiel die so genannte tiergestützte Therapie, Ihr eigener Hund Ferrusco war an der kbo-Lech-Mangfall-Klinik in Garmisch-Partenkirchen Teil des Behandlungs-Teams, das mit Hilfe der Vierbeiner im Bereich der Achtsamkeit den Zugang zu den Patienten öffnet und Vertrauen schafft.
GN: Diese besondere Form der Behandlung war ein wenig mein Steckenpferd, es war einfach schön mitzuerleben, wie ein Tier als Mediator die Patienten im Innersten berühren und zur Behandlung aktiv beitragen kann.
Für Sie stand immer der Patient im Mittelpunkt?
GN: Unsere Versorgungsangebote sind für die Menschen da und unser Ziel war es, das publik zu machen. Uns der Öffentlichkeit über Vorträge und ausgewählte Themen wie Burnout zu präsentieren und damit auch das Verständnis für psychiatrische Erkrankungen in der breiten Bevölkerung zu wecken. Ob durch Fortbildungsveranstaltungen in Kooperation mit dem Schulamt, durch eine Vortragsreihe mit einer Volkshochschule oder Aktionstage mit einem regionalen Gesundheitsanbieter, wir leisten hier aktiv Aufklärungsarbeit, immer im Sinne der Ent-Stigmatisierung.
Sie haben die kbo-Lech-Mangfall-Kliniken kontinuierlich erweitert und breit aufgestellt, mit der Neuropsychiatrie – gewissermaßen eine Schnittstelle zwischen Neurologie und Psychiatrie – ist jüngst ein weiterer Fachbereich hinzugekommen.
GN: Mein Ziel war es immer, so breit aufgestellt zu sein und so viele Behandlungsformen anzubieten, um sowohl einem schwer depressiven wie auch einem an einer leichten Angststörung leidenden Menschen helfen zu können.
Sie haben in den 20 Jahren sehr viel erreicht.
GN: Ja, ich denke, dass man das sagen kann und ich bin darauf auch ein wenig stolz, auf all meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auf das, was wir gemeinsam geschaffen haben – immer Schritt für Schritt, eins ist ins andere übergegangen, ein Teil fügte sich ins andere, es war eine stetige Entwicklung und ein Wandel, bis hin zu einer kompletten, gut funktionierenden Versorgungslandschaft.
Passend zu Ihrem Lebensmotto „Nichts ist so stetig wie der Wandel“ …
GN: … immer mit dem Blick für die jeweiligen Herausforderungen. Wenn man keine schwarzen Zahlen schreibt, dann kann man auch nicht investieren. Der wirtschaftliche Erfolg war Voraussetzung für die Umsetzung all der Visionen, aber auch Humanität und Qualität galt es im Auge zu behalten.
Sie waren immer gern Geschäftsführer der kbo-Lech-Mangfall-Kliniken?
GN: Ja, mich hat diese Aufgabe total ausgefüllt, nie gelangweilt.
Ihr Erfolgsrezept?
GN: Vielleicht eine gute Mischung aus Risikobereitschaft und Bauchgefühl.
Sie sind gebürtiger Münchner und leben seit 2004 in Garmisch-Partenkirchen – doch daran wird sich nun etwas ändern?
GN: Gemeinsam mit meiner Frau und unseren beiden Hunden Ferrusco und Leia geht es ab nach Portugal, der Heimat meiner Frau. Ich freue mich darauf, auf den neuen Lebensabschnitt im Süden, auch wenn ich die Berge sicherlich vermissen werde.
Erfüllt sich damit ein Traum?
GN: Als Student der Betriebswirtschaft habe ich einige Monate in Griechenland gearbeitet und mich so wohl gefühlt, dass ich mir schon damals gesagt habe: Eines Tages wirst Du ein Domizil im Süden haben. Bereits die vergangenen zehn Jahre haben wir unsere gesamten Urlaube in Portugal verbracht und es ist längst zur zweiten Heimat geworden. Ich liebe die Mentalität der Portugiesen, sie sind freundlich und zugänglich. Und das raue Atlantik-Klima ist auch meins, ich lasse mir gern den frischen Wind um die Nase blasen. Ich freue mich auf die kilometerlangen Strandspaziergänge mit meinen Hunden und auf das unkomplizierte Leben: am Strand einen Pingado, einen kleinen Kaffee mit Milch, trinken, oder einen Vino in einer Bar.
Und eine neue Sprache lernen …
GN: Da sagen sie was (lacht) – das wird sicher eine Herausforderung, ich werde nie perfekt portugiesisch sprechen, aber ich möchte mich schon wenigstens einigermaßen unterhalten können, nicht nur so mit Händen und Füßen, wie bisher.
Was planen Sie außerdem noch? Sie haben ja nun eine Menge Zeit.
GN: Gern würde ich wieder Musik machen, früher habe ich mal in einer Band Gitarre gespielt und auch gesungen. Dafür blieb die letzten 20 Jahre keine Zeit und nun hoffe ich, dass ich da unten Leute finden, die mit mir eine Band gründen. Im Grunde geht es nun darum, vier Lebensbereiche aufzubauen: Meine Frau, meine Hunde, die Musik und Haus und Hof. Wir haben uns ein kleines Domizil geschaffen, mit Meerblick und Olivenhain, wo ich auch Orangenbäume anpflanzen möchte.
Das klingt alles sehr positiv, kein weinendes Auge, das trauernd zurückblickt?
GN: Nein, tatsächlich nicht. Ich freue mich, dass ich die kbo-Lech-Mangfall-Kliniken nun gut übergeben kann, dass Feld ist gerichtet. Es ist wichtig, dass man loslassen kann und ich bin sehr zuversichtlich, dass es mit meiner Nachfolgerin, Katharina Kopieczny, erfolgreich, wenn auch anders, weitergeht. Es ist in der Tat ein sehr guter Zeitpunkt um aufzuhören, quasi auf dem Höhepunkt, wo alles passt.
Haben Sie einen persönlichen Wunsch?
GN: Gesund zu bleiben.